piwik no script img

Gegen Monomeinungskultur

betr.: „Ein Aufstand alter Männer“ (Fluch oder Segen? Das Comeback der Fehlfarben), taz vom 19. 10. 02

Ist es denn nicht merkwürdig, wenn die Herabwürdigung von Ideal, zweifellos eine der wichtigsten deutschen Bands aller Zeiten, in Zeitungsinterviews und Artikeln zur nicht hinterfragten Standardfußnote verkommt? Habt ihr bei der taz jetzt aus Anpassungserwägungen auch eure Ideal-Scheiben in den Keller entsorgt? Oder die beständigen Schmähungen gegen Extrabreit, die mit „Polizisten“ oder „Der Präsident ist tot“ mindestens so viel „Geschichte“ geschrieben haben wie die Fehlfarben? Ist der Begriff Hitparadenmucke da nicht voll neben der Spur?

Da weiß man nicht so ganz genau, ob vielleicht dem Journalisten auch schon der Altherrenbesserpunk in die Feder gefahren ist, von dem er sich distanzieren möchte. Da möchte mal endlich mal anklopfen und rufen: „Hallo? Haaaaallo???“ Ja, keiner zu Hause. Ist da denn nur Luft in den Köpfen, wenn die Hände jetzt plötzlich diesem Schreibzwang zur Punkberichterstattung nachkommen? Warum so ein platter Automatismus in der Übernahme von Thesen?

Als ob jetzt plötzlich etwas hoffähig oder wichtig geworden sei – nur weil ein Teipel einen Doko-Roman veröffentlicht hat? Ein Mann, der jetzt nichts Besseres zu tun hat, als öffentlich alles herabzuwürdigen, was seinen Tellerrand überschreitet? Ja, ich sage es euch, der Mann ist nicht kompetent: Der Rahmen seiner Punkerfahrung geht keine Minute über die Spielzeit seines Buches hinaus. Das allerdings demontiert den ihm zugedachten Botschafterstatus ganz erheblich. Was Punk nämlich jenseits seines gut gemachten und lesenswerten Buches in Deutschland zu bieten hat, ist Teipel ein Rätsel, er ist daher auch in seiner selbst gewählten Position unfreiwillig komisch. Ich gab ihm vor einer seiner Veranstaltungen einen Flyer für eines der seltenen Konzerte der Fliehenden Stürme aus Stuttgart, zu dem ich ihn aus Gründen natürlicher Punkbegeisterung einladen wollte (zumal wir selbst als Vorband spielten). Die Fliehenden Stürme sind, mit einem Namenswechsel, bereits seit 1983 aktiv und besitzen einen Ausnahmestatus. Er kannte sie nicht. Ich deutete ihm den musikalischen Stil an, was ihn ratlos machte, denn er kannte keine einzige der von mir genannten Vergleichsbands. So.

Aufklärung tut also Not, ja? Dann sollte mal darüber aufgeklärt werden, dass die Historisierung einer lebendigen Szene jenseits von „Haste mal 50 Cent“ ein Produkt gehypter Ignoranz darstellt, gerade weil so viele den Ball aufnehmen und sich ihrerseits nach Belieben die Blindenbinde umschnallen. Bands wie Razzia (Hamburg), oder EA80 (Mönchengladbach) und so manche andere haben Punk in Deutschland nach 1982 eine anspruchsvolle Definition jenseits von Saufgegröle gegeben und prägenden Einfluss auf eine Subkultur genommen, die sich allerdings seit zwei Jahrzehnten auf der Schattenseite des öffentlichen Interesses bewegt.

Es ist eine schlichte Unverschämtheit, zu ignorieren, dass sich wirklich wütende Punkbands während der NDW-Zeit gerade erst bildeten und beharrlich, teils bis heute, trotz des unabwendbaren Nischendaseins ihren Weg gingen und die Idee einer zynisch-aggressiven, politisch bewussten musikalischen Angriffsform aufrechterhielten. Besonders jämmerlich erscheint in diesem Licht doch das Gezetere der Altprotagonisten, die „ihren“ Punk nicht über die Umarmung der Industrie hinaus hatten retten können und sich statt dessen auflösten, um heute immer noch darüber zu berichten, wie doch alles kaputt gegangen sei – und andere Bands dafür verantwortlich machen.

Vorschlag: Ihr seid doch auch in Hamburg, also in einer der ehemaligen deutschen Punkmetropolen – also tut euch und uns einen Gefallen und macht ein Interview mit Andreas Siegler, seit 1983 Gitarrist von Razzia, oder mit Rajas Thiele, deren ehemaligem Sänger. Der Öffentlichkeit eine Punkperspektive jenseits der Teipelei zu ermöglichen wäre ein fairer Zug gegenüber der echten Subkultur jenseits der Feuilletons und ein wichtiger Schritt gegen Monomeinungskultur. MATTHIAS GEPHART, Dortmund

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen