: Gegen Amnestie
■ DDR-Regierungschef für Einzelfallprüfung bei Inhaftierten
Berlin (dpa) — DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière (CDU) hat sich in der Diskussion über eine Amnestie für Strafgefangene zum Tag der deutschen Einheit am 3. Oktober für eine Einzelfallprüfung ausgesprochen. Der Regierungschef sagte am Mittwoch vor Journalisten in Ost- Berlin, der Tag der Einheit dürfe allerdings nicht dazu dienen, „jeden“ Mörder oder Drogenhändler aus den Vollzugsanstalten herauszulassen. Das Kabinett habe sich mit dieser Problematik auf seiner letzten Sitzung nicht befaßt. Hier sei das Volkskammerpräsidium als amtierendes Staatsoberhaupt gefordert.
De Maizière unterstrich, die Urteile müßten mit den Strafen vergleichbar sein, die in der Bundesrepublik für entsprechende Delikte ausgesprochen würden. Er wies darauf hin, daß es seit Herbst 1989 bereits drei Amnestien gegeben habe. Die revoltierenden Häftlinge, die eine Generalamnestie verlangen, argumentieren, sie seien nicht nach rechtsstaatlichen Grundsätzen verurteilt worden. Eine Entscheidung des Volkskammerpräsidiums in dieser Frage wird an diesem Freitag erwartet. Gezielte Fehlinformationen und die Solidarität des Gefängnispersonals haben nach Ansicht des Verbandes der Justizvollzugsbediensteten West-Berlins (VdJB) die DDR- Häftlinge zu Revolten ermuntert. Dies berhauptete der Vorsitzende des VdJB, Joachim Jetschmann. Dem Verband gehört ein Großteil der mehr als 2.800 Westberliner Vollzugsbediensteten an. Besonders der Leitung der Ostberliner Gefängnisse Rummelsburg und Köpenick warf Jetschmann vor, durch den extrem freizügigen Vollzug Dachbesetzungen erst ermöglicht zu haben. Die Urlaubs- und Freizeitregelung in diesen Anstalten stelle ein „Sicherheitsrisiko“ dar.
Die Gefangenen seien über die Haftbedingungen in West-Berlin durch die Anstaltsleitung falsch informiert worden. Besondere Schwierigkeiten sieht der VdJB auf die Untersuchungshaftanstalt Moabit zukommen. Es sei zu befürchten, daß dort verstärkt „SED-Prominenz“ untergebracht würde. Nach dem 3. Oktober sollen zunächst der frühere Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke, und der ehemalige FDGB-Chef Harry Tisch in die Untersuchungshaftanstalt Moabit verlegt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen