Nachruf: Gefühlvoller Kraftbolzen
■ Gene Kelly, der waghalsig-elegante Musicaltänzer, ist tot
„Gotta Dance“ singt Gene Kelly in seinem wohl berühmtesten Film „Singin' in the Rain“ und formuliert damit auch gleich das Motto seiner gesamten Karriere. In nahezu dreißig Musicals spielte er vor Lebensfreude singende und tanzende Matrosen, Football-Spieler, Kriegsheimkehrer oder Vaudevillekünstler: Kelly verkörperte den Durchschnittsamerikaner, der meist optimistisch in die Welt blickte und dessen Anzüge stets ein wenig so wirkten, als ob eine kaum zu bändigende Energie den edlen Zwirn jeden Moment sprengen könnte.
Kellys Karriere hatte Ende der dreißiger Jahre am Broadway begonnen, und das Aufsehen, das er in der Titelrolle von „Pal Joey“ erregte, ließ 1942 auch Hollywood aufhorchen. Er erhielt seine erste Filmrolle in Busby Berkeleys „For Me and My Gal“ und war anschließend nahezu fünfzehn Jahre bei MGM unter Vertrag, wo er auch die Kontrolle über Choreographie und Regie seiner Filme zunehmend ausweiten konnte. Eine langjährige Zusammenarbeit verband Kelly dabei mit Stanley Donen, mit dem er auch die berühmte Choreographie zur „Alter ego“-Sequenz – Kelly tanzt in einer Doppelbelichtung mit seinem inneren Ich – in „Cover Girl“ entwickelte, einem Film, der ihm 1944 an der Seite von Rita Hayworth den endgültigen Durchbruch brachte. Die Produktionen „On the Town“, „Singin' in the Rain“ und „It's Always Fair Weather“, die Kelly in den fünfziger Jahren gemeinsam mit Donen als Co-Regisseur realisierte, gelten heute zu Recht als Höhepunkte des „integrated musical“, in dem die Gesangs- und Tanznummern in die Handlung einbezogen sind und über Gefühle und Hoffnungen der Filmcharaktere Auskunft geben. Auf amüsanten Drehbüchern von Betty Comden und Adolph Green beruhend, sind die Filme von Kelly und Donen geschickt komponierte Sinfonien aus Farbe und Bewegung, mit immer wieder überraschenden Ideen: So ist beispielsweise „On the Town“ (1950) das erste Musical, das an Originalschauplätzen in New York gedreht wurde. In „Anchors Aweigh“ (1945) war er bereits mit der Cartoon-Maus Jerry in einer Kombination aus Trick- und Realfilm aufgetreten, auf die er auch für eine der drei Episoden seines wohl ambitioniertesten Projekts „Invitation to the Dance“ zurückgriff. Seine Tänze mit einer riesigen Schlange oder den orientalischen Palastwächtern gehören denn auch zu den gelungensten und vergnüglichsten Momenten des etwas prätentiös geratenen Films. In den anderen Episoden versucht Kelly, sich auf dem Gebiet des klassischen Tanzes mit europäischen Ballettstars zu messen, die ihm jedoch spielend den Rang ablaufen.
Kellys Stärke lag vielmehr im dynamischen, athletischen Tanz, wie er in Vincente Minnellis „The Pirate“ seine vielleicht schönste Ausprägung fand: Judy Garland erträumt sich den harmlosen Kelly als wilden Piraten, der artistische Stunts vollführt, die auch einem Douglas Fairbanks zur Ehre gereicht hätten.
Im Gegensatz zum stets elegant wirkenden Fred Astaire, hatte Kellys Tanz meist etwas Burleskes, und einige seiner Charaktere waren dem Vaudeville oder der Commedia dell'arte entlehnt. Während für Astaire Gesang und Tanz stets die Mittel zur Verführung der angebeteten Frau bedeuteten, stand in Kellys Filmen eher die Kameraderie im Mittelpunkt. Häufig ergaben sich in seinen Choreographien Konstellationen von drei Personen, und oft arbeitete er mit komischen „sidekicks“ wie Phil Silvers, Jules Munshin oder Donald O'Connor.
Obwohl Kelly am Ende der Filme stets sein Mädchen bekommt, enthalten zum Beispiel „The Pirate“ und “It's Always Fair Weather“ keine romantischen Tanzszenen. Nahezu obligatorisch war für Kelly hingegen ein von Melancholie geprägter Solotanz: Der scheinbare Verlust seiner Geliebten läßt ihn in Phantasien und Tagträume flüchten und motiviert zum Beispiel die langen Ballettsequenzen von „On the Town“ und „An American in Paris“.
Das Gegenstück zu diesen eher introspektiven Momenten bildet jene Szene, mit der Gene Kelly bis heute wohl am ehesten identifiziert wird: In strömendem Regen klappt der glückselige, verliebte junge Mann den Schirm zu und patscht übermütig in Pfützen herum, „just singin' and dancin' in the rain“.
Gelegentlich hat sich Kelly auch als Schauspieler in nicht musikalischen Filmen versucht, ohne dabei jedoch große Erfolge zu verbuchen. Am geschicktesten setzte ihn Regisseur George Sidney als D'Artagnan in „The Three Musketeers“ ein, wo Kellys Bewegungstalent voll zur Geltung kommt und die Degenduelle wie Musiknummern gefilmt sind.
Am vergangenen Freitag ist Gene Kelly im Alter von dreiundachtzig Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls gestorben. Lars Penning
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