: Gefoltert wird überall
■ Frau Süssmuth und die Weltfrauenkonferenz
Frau Süssmuth möchte, wie diversen von ihr gegebenen Interviews der letzten Tage zu entnehmen ist, auf der Pekinger Weltfrauenkonferenz ein Reformpaket schnüren. Und dieses Paket soll – Wunder der Verpackungskunst! – auch noch „auf beiden Beinen stehen“. Sozial- und Freiheitsrechte sind die Gliedmaßen, auf denen sich das Paket sicher fortbewegen soll. Die beiden Beinchen dürfen sich aber nicht in die Quere kommen. Diese Gefahr ist vor allem dann gegeben, wenn die in, vor allem aber außerhalb Pekings versammelten Frauen ihren Blick „auf China verengen“, wenn ihnen in den Sinn kommen sollte, die Lage der Menschenrechte in China unangemessennerweise ins Zentrum ihrer Beratungen zu rücken. Denn eines dürfen wir nicht vergessen: „China ist kein Einzelfall.“ Auch in anderen Ländern werden Frauen Opfer von Gewalt, und dies, so Frau Süssmuth schwungvoll, „in zunehmendem Maße“. Laßt uns über Ausbeutung und Unterdrückung der Frauen weltweit reden, möglichst abstrakt und mit möglichst wenigen Namensnennungen. Denn sind wir nicht Sünder allzumal? Diese Art von christlichem Universalismus birgt den immensen Vorteil, daß man immer von etwas anderem reden kann als von dem, worauf es gerade ankommt. Erschreckende Arbeitslosigkeit unter den Frauen Ostdeutschlands? Ich bitte Sie, werfen Sie doch einen Blick auf die Statistiken der EU-Mittelmeerländer!
Natürlich müssen auf der Konferenz „klare Worte der Verurteilung gefunden werden“, aber es kommt nicht darauf an, „daß sich die chinesische Regierung beeindruckt zeigt“ oder daß das „Zentralkomitee daraus Konsequenzen ziehen wird“. Sehen wir davon ab, daß das ZK der Kommunistischen Partei Chinas ungefähr soviel Einfluß auf den politischen Entscheidungsprozeß des Landes hat wie sein Namenszwilling, das ZK der Deutschen Katholiken, auf die Grundorientierung des deutschen Katholizismus. Fragen wir einfach, was eine Verurteilung soll, die von vornherein darauf verzichtet, „zu beeindrucken“.
Rita Süssmuth geht's ums Grundsätzliche, darum, „welche Maßstäbe die UNO setzt und welche Beschlüsse sie verbindlich faßt“. Ihr schwebt beispielsweise vor, dem Prinzip „Gerechter Lohn für geleistete Arbeit“ weltweit zum Durchbruch zu verhelfen. Hieß es nicht, und dies seit mehr als hundert Jahren, „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“? Aber auch dieser kleine Unterschied sollte in Peking vielleicht nicht „ins Zentrum gerückt werden“. Christian Semler
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