Geflüchtete nach den Attacken: „Wir lassen unser Leben nicht klauen“
Die Angriffe in Würzburg, Ansbach und Reutlingen verändern das Leben von Flüchtlingen mehr als das der Deutschen. Drei von ihnen erzählen.
Ich will Mittler sein
Als ich 1989 in Kabul geboren wurde, erlebte Afghanistan eine Zeit der Gewalt. Die kommunistische Regierung wurde von Mudschaheddin gestürzt – und meine Tanten und Onkel flohen aus dem Land und ließen alles zurück, wofür sie jahrelang gearbeitet hatten.
Meine Erinnerungen an Kabul sind geprägt vom Krieg. Todesangst war für mich Alltag. Wenn mir jemand von Frieden in anderen Ländern oder der Vergangenheit erzählte, waren das für mich Märchen. Als ich nach Deutschland kam, musste ich meine Vorstellung davon, was normal ist, verändern. Dinge, die ich für unmöglich gehalten hatte, waren jetzt möglich – ich musste mich nur selbst davon überzeugen.
Die jüngsten Ereignisse in Europa scheinen wie ein neuer, unglücklicher Trend. Meine deutschen Freunde schreiben mir, dass sie Angst haben – für mich ist es die Wiederkehr von schlechten Erinnerungen.
Ich habe nicht das Gefühl, dass sich jemand mit der Ursache von alldem beschäftigt. Keine Ahnung, was Menschen dazu bringt, andere umzubringen – aber wir sollten uns diese Frage stellen. Ich beobachte, dass es wenig Kommunikation zwischen den Menschen, die kürzlich nach Deutschland kamen, und den verantwortlichen Behörden gibt. Wie kannst du jemanden registrieren, wenn du nicht wirklich weißt, wer er ist? Die junge Generation, die anfällig für Radikalisierung ist, fühlt sich offenbar ausgeschlossen und sucht nach einer Gruppe, zu der sie gehört. Ich habe keine Lösung, aber ich hoffe, ich kann ein Mittler sein. Ich will die Kommunikation zwischen beiden Kulturen zu verbessern.
Abdullah Frahmand, 26, arbeitet in Berlin als Software-Entwickler. Er kommt aus Afghanistan
***
Wir haben eine große Aufgabe
Ich wohne in einem Flüchtlingsheim in Dombühl, einem Dorf neben Ansbach. Jeden Tag fahre ich ins Zentrum von Ansbach, wo der Selbstmordanschlag passierte, um dort die Sprachschule zu besuchen. Mein Bruder und ich sind Kurden, wir sind aus Aleppo geflohen. Ich habe vor der Flucht Bauingenieurswesen studiert. Vor ein paar Tagen habe ich die Nachricht von der Hochschule in Nürnberg bekommen: Ich darf dort mein Studium fortsetzen. Darüber bin ich glücklich.
Am Sonntag demonstrieren tausende Erdogan-Fans in Köln. Wie schätzen Deutsch-Türken die aktuelle Lage in der Türkei ein? taz-Autor Volkan Agar war in der Kölner Keupstraße und sprach mit Anwohnern und Ladenbesitzern. Seine Reportage lesen Sie in der taz.am wochenende vom 30./31. Juli. Außerdem: Eine Tierethikerin und ein Affenforscher diskutieren über Moral und Tierversuche. Der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit erklärt nach den Anschlägen, was die Täter eint. Und ein taz-Autor beschreibt seine Sammelleidenschaft für Schockbilder auf Zigarettenschachteln. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Es ist sehr schade für uns, dass der Anschlag ins Ansbach passiert ist. Wir schämen uns für dieses Verbrechen. Wir lassen uns unser friedliches Leben von solchen Personen nicht einfach klauen.
Am Sonntag haben mein Bruder und ich die Nachrichten geschaut und so vom Anschlag erfahren. Deutsche Freunde von uns waren auf dem Konzert, wir haben sie sofort angerufen. Sie waren okay.
Am nächsten Tag, am Montag, sind wir wie immer zum Sprachkurs gefahren. Aber diesmal haben wir gemerkt, dass die Leute uns komisch ansehen. Sie hatten Angst vor uns. Eigentlich haben sie Recht. Aber das, was passiert ist, ist nicht meine Schuld.
Wir brauchen mehr Kontrolle der radikalen Personen. Ich glaube auch, dass wir eine große Aufgabe haben. Wir als Flüchtlinge. Wir sollten die Polizei anrufen, wenn sich Leute merkwürdig benehmen. Die meisten Flüchtlinge leben in Heimen und sie kennen einander gut.
Aber die Polizei muss auch früher reagieren. Und nicht sagen: Es ist doch noch nichts passiert. Denn wenn etwas passiert ist, ist es zu spät. Auch die Asylverfahren sollten viel schneller verlaufen. Die Leute, die abgelehnt werden, müssen schnell das Land verlassen. Und es sollte eine Frist geben, wann die Sprachprüfungen abgelegt werden müssen. Damit die Leute viel lernen müssen und überhaupt keine Zeit für schlechte Gedanken haben.
Wir bedanken uns bei den deutschen Menschen. Sie haben uns eine Wohnung gegeben und sie haben uns Geld gegeben. Und, das Wichtigste: Sie geben uns auch die Möglichkeit zu studieren. Der Studienplatz, die Fahrkarte, die Bücher: alles ist kostenlos. Alles ist bereit. Wir sollen nur studieren. In Syrien haben wir diese Möglichkeit nicht.
Wir Flüchtlinge haben eine Demonstration in Ansbach organisiert. Die Leute sollen sehen, dass wir solche Dinge ablehnen.
Alaa Kefo, 20, kommt aus Aleppo und studiert ab Oktober Bauingenieurswesen in Nürnberg. Er lebt in einem Dorf bei Ansbach.
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Bitte lasst nur saubere Leute herein
Vergangenen Sonntag war ich mit meinem Bruder, seiner Familie und drei weiteren syrischen Familien an einem See in der Nähe von Heidelberg. Wir hatten gerade ein Kartenspiel begonnen, als einer unserer Freunde sagte, dass es einen Angriff in Reutlingen gab. Wir fragten ihn, wer es war, aber er sagte, dass die Polizei es noch nicht wisse. Die verletzten Menschen taten uns leid und wir hofften, dass der Angreifer nicht aus Syrien kommt.
Nach einer Weile sagte unser Freund: „Es tut mir leid, dass ich euch das sagen muss, aber der Angreifer war ein syrischer Flüchtling.“ Wir waren sehr betroffen. Und wir fragten uns, warum er das wohl getan hat.
Die Deutschen haben uns geholfen. Sie haben die Grenzen geöffnet, uns die Hand gereicht, sie haben uns ein gutes, neues Leben angeboten und was haben sie dafür bekommen? Gewalt. Sicher werden sie bereuen, was sie getan haben, weil einige Flüchtlinge ihre Hilfe nicht verdienen.
Alle waren traurig, also sah ich sie an und sagte: Leute, ich denke, sie schicken uns alle zurück. Es ist hier nicht mehr sicher für uns. Geht aus der Sonne, wir dürfen nicht noch dunkler werden, als wir eh schon sind. Vielleicht lasse ich mir einen Ohrring stechen, dann sehe ich aus wie ein Italiener oder ein Grieche.
Ich werde meine Haare blondieren, sagte ein Freund. Ein anderer: Hm, ich habe keine Haare mehr. Vielleicht lasse ich meinen Bart blondieren. Oder mir ein Tattoo stechen. Dann schaute ich die Frau meine Freundes an. Sie sieht total arabisch aus. Ich sagte: Egal was du machst, du bist ein hoffnungsloser Fall. Alle lachten. Ich wollte einen Witz machen, damit sie sich besser fühlen.
Ich muss feststellen, dass all diese Anschläge in Europa oder in Deutschland mit dem Islam zu tun haben oder mit Menschen aus dem Nahen Osten. Das ist der gemeinsame Nenner, oder?
Dabei hat das alles so wenig mit dem Islam zu tun. Diese Leute sind gefährlich für den Islam, weil sie dessen Ruf zerstören. Ich habe das Gefühl, dass die Deutschen sich jetzt gegen die Flüchtlinge wenden – und ich verstehe, dass sie Angst um ihr Leben und um ihre Kinder haben. Aber das, was passiert, betrifft uns genauso und vielleicht noch mehr, weil einige dieser Terroristen Syrer sind. Wir schämen uns. Und wir haben das Gefühl, nicht mehr willkommen zu sein.
Ich hoffe, dass die deutsche Regierung keine Menschen als Flüchtlinge anerkennt, die kriminell sind. Und dass sie alle zurückschickt, die auch nur die kleinste Straftat begangen haben. Ich habe das Gefühl, dass die deutsche Regierung zu nachsichtig ist. Bitte lasst nur saubere Leute herein.
Ich lebe mit sieben anderen Deutschen zusammen in einer Wohngemeinschaft und sie haben ihr Verhalten mir gegenüber nicht verändert, weil sie mich gut kennen und weil wir gut befreundet sind. Aber ich bin nicht mehr stolz, Syrer zu sein. Ich hasse jeden, der mich danach fragt, woher ich komme. Normalerweise antworte ich trotzdem und warte auf die Reaktion. Aber die Menschen kommentieren das nicht. Ich denke, das liegt daran, dass ich Zahnarzt bin und dass die Menschen hier gebildete Menschen respektieren, aber trotzdem ist es verwirrend für mich.
Samer, 35, arbeitet in Heidelberg als Zahnarzt. Er wurde in Saudi-Arabien in eine syrische Familie geboren und lebte später in Syrien und Ägypten. Seinen Nachnamen möchte er nicht nennen, weil er vom syrischen Regime nicht gefunden werden will. Er ist der Redaktion bekannt.
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