Gefahr von Links: Das richtige Händchen
Sind Linkshänder wirklich die besseren Sportler oder sind sie nur die unbequemeren Gegner?
BERLIN taz Sie waren sein sportlicher Albtraum: Handball-Torwart Norbert Hagemann fürchtete vor allem die Gegenspieler, die den Ball mit der linken Hand auf sein Tor schleuderten. Was aber macht die Würfe von Linkshändern so gefährlich? Sind Linkshänder begabter? Haben sie eine raffiniertere Technik? Diesen Fragen geht der Sportpsychologe Hagemann in einer Studie am Institut für Sportwissenschaft an der Universität Münster nach.
Solche Fragen drängen sich nicht nur im Handballsport auf, wo tatsächlich - nicht nur auf der Position Rechtsaußen - ziemlich viele leistungsstarke Linkshänder auffallen. Auch in Sportarten, in denen man einen starken Arm braucht - wie Tennis, Tischtennis, Badminton und Boxen -, schlagen in der Weltspitze viele mit links. "In Sportarten mit Gegnerkontakt gibt es bis zu 20 bis 25 Prozent Linkshänder", sagt Norbert Hagemann. "In der Normalbevölkerung sind es lediglich 10 Prozent." Da in Individualsportarten wie Leichtathletik oder Schwimmen der Anteil der Linkshänder nicht höher sei als unter Nichtsportlern, könne man davon ausgehen, dass Linkshänder nicht generell sportlich begabter seien. Daher sucht Hagemann im Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft "Lateralität (Seitigkeit) im Sport" nach den wirklichen Gründen für den Erfolg der Linkshänder.
Zum einen hat er herausgefunden, dass Linkshänder einen strategischen Vorteil haben. "Linkshändige Tennisspieler etwa können dem Ball eine andere Rotation geben, sodass diese für den Gegner ungewohnt abspringen." Das bereite sowohl rechts- als auch linkshändigen Kontrahenten Schwierigkeiten. Zum anderen können sich die Gegner eines Linkshänders nicht sofort umstellen - das heißt zum Beispiel beim Tennis, sie spielen ihm häufiger auf die vielleicht stärkere Vorhandseite, dorthin, wo sie in der Regel um die schwächere Rückhand eines Rechtshänders wissen.
Zudem untersucht Norbert Hagemann, wie linkshändige Schläge und Würfe vorhergesehen werden. "Die Antizipation ist wichtig, um zu erkennen, wohin man sich bewegen muss", erklärt Hagemann. "Mit Hilfe von Videoclips haben wir herausgefunden, dass man Linkshänder-Schläge schlechter antizipieren kann. Das spricht für eine spezifische Anpassung des Wahrnehmungssystems, dass es eben häufiger mit Rechtshändern zu tun hat."
Linkshänder scheinen also nicht die besseren Sportler zu sein, sondern einfach die unbequemeren Gegner. Vor allem in populärwissenschaftlicher Literatur werden Linkshänder jedoch gerne als intelligenter und kreativer beschrieben. Barbara Sattler, Leiterin der "Ersten deutschen Beratungs- und Informationsstelle für Linkshänder und umgeschulte Linkshänder" in München warnt vor solchen Aussagen: "Da muss man vorsichtig sein, Linkshänder sind in der Regel nicht schlauer oder genialer als Rechtshänder. Intelligenz und Talent liegen nicht an der Händigkeit." Auch sie glaubt, dass der Überraschungseffekt, den das Spiel eines linkshändigen Sportlers hat, ausschlaggebend ist für den größeren Anteil der Linkshänder unter erfolgreichen Athleten. Die Psychotherapeutin und Psychologin weist aber auch darauf hin, dass linkshändige Kinder in bestimmten Sportarten nicht richtig betreut werden. "Oft nehmen sie unbewusst den Schläger oder den Ball doch in die schwächere rechte Hand, da es die Mehrzahl der anderen Kinder auch so macht", erklärt sie. Durch dieses Nachahmungsverhalten ließen sich viele junge Sportler in ihrer Händigkeit beeinflussen. "Sie müssen gezielt gefördert werden", sagt Barbara Sattler.
Noch schwerer haben es hier junge Musiker. Die meisten werden früh dazu animiert, die rechte Hand als Spielhand zu gebrauchen. Man kennt zwar einige berühmte linkshändige Gitarristen wie Kurt Cobain und Paul McCartney, doch die Geiger und Cellisten in den großen Orchestern spielen durchweg mit der rechten Hand. "Auch hier müsste man mehr Prävention und Aufklärung betreiben", erklärt Barbara Sattler, die selbst eine umgeschulte Linkshänderin ist. "Zumindest werden mittlerweile immer weniger Kinder im Schreiben umgeschult, diesbezüglich hat sich die Einstellung liberalisiert."
Das "richtige Händchen" - so wurde früher gerne die rechte Hand genannt. Im Sport jedoch ist das bessere Händchen gerne mal das linke.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Jeder fünfte Schüler psychisch belastet
Wo bleibt der Krisengipfel?
Gespräche in Israel über Waffenruhe
Größere Chance auf Annexion als auf Frieden