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Gefängnis oder Selbstzensur“

■  Arabiens einziger unabhängiger Sender erhält heute einen Medienpreis. Orientalistik-Professor Gernot Rotter über al-Jazeera und eine von Tabus umzingelte Medienlandschaft

Der unabhängige arabische Nachrichtensender al-Jazeera erhält heute in Berlin den erstmals verliehenen Ibn-Rushd-Medienpreis. Der Ibn Rushd Fund for Freedom of Thought würdigt damit „die besonderen Verdienste von al-Jazeera um freies Denken und Demokratie in der arabischen Welt“. Seit 1996 sendet al-Jazeera aus Doha, der Hauptstadt des Emirats Katar am Persischen Golf. Das Programm kann in der gesamten arabischen Welt per Eutelsat empfangen werden. Mit seiner kritischen und unzensierten Berichterstattung ist al-Jazeera („Die Insel“) eine Ausnahme unter den arabischen Medien, die fast durchweg der Kontrolle autoritärer Regierungen unterworfen sind (siehe taz vom 12. November). Über deren schwierige Lage sprach die taz mit Gernot Rotter, Professor für Gegenwartsbezogene Orientwissenschaft an der Universität Hamburg. Rotter engagiert sich seit Jahren im deutsch-arabischen Mediendialog.

taz: Warum ist es um den Journalismus in den arabischen Ländern so schlecht bestellt?

Prof. GernotRotter: Es gibt im arabischen Raum eine ganze Reihe von Staaten, in denen keine demokratischen Verhältnisse herrschen. In solchen Ländern ist der Job des Journalisten grundsätzlich sehr schwierig. Journalisten bewegen sich dort ständig zwischen Gefängniszelle und strikter Selbstzensur. Besonders schlimm ist es in Irak, Libyen und Sudan. Es gibt aber einige löbliche Ausnahmen, zum Beispiel Libanon, wo die Medien recht frei sind. Auch Marokko hat eine relativ liberale Presseordnung. In allen arabischen Ländern gibt es Themen, die für die Medien absolut tabu sind: In Marokko ist dies Kritik am König und an der Westsahara-Politik, im Libanon das Verhältnis der Religionsgemeinschaften, und in Ägypten werden profundamentalistische Äußerungen unterdrückt. Interessanterweise tut sich ausgerechnet in den Golfstaaten einiges. Kuwait hat eine relativ liberale Presse. Das rühmlichste Beispiel ist Katar mit seinem Sender al-Jazeera, der mit allem gebrochen hat, was bisher in der arabischen Medienwelt üblich war.

Ist al-Jazeera ein erster Schritt hin zu einer Liberalisierung in der arabischen Medienlandschaft?

Das würde ich schon so sehen. Die Tatsache, dass al-Jazeera exisitiert und quer durch die arabische Welt gesehen wird, macht die zensierten Staatsmedien in der Region lächerlich, sie geraten in Zugzwang. Die einhellige Meinung arabischer Journalisten ist: Es tut sich was, wenn auch nicht von heute auf morgen.

Welche politischen Kräfte dominieren in der arabischen Medienöffentlichkeit?

Vor allem das konservative Saudi-Arabien übt hier großen Einfluss aus. Beispielsweise sind die großen internationalen arabischsprachigen Tageszeitungen al-Hayat und al-Sharq al-Awsar, die in London erscheinen, saudisch finanziert. Auch Arab-Sat, der Hauptsatellit für arabisches Fernsehen, ist in der Hand der Saudis.

Welche Konsequenzen hat das?

Im Gespräch mit arabischen Journalisten hört man häufig, dass die Saudis unliebsame Journalisten rauswerfen und genehme Journalisten finanziell fördern. Dabei gäbe es an Saudi-Arabien wahrlich genug zu kritisieren, die Lage der Menschenrechte ist dort weit schlimmer als etwa in Iran. Vor allem über ihren TV-Satelliten können die Saudis ungehemmt Kontrolle ausüben. Auf internationalem Parkett gibt sich Saudi-Arabien liberaler: Die saudisch dominierten internationalen Blätter haben einen hohen journalistischen Standard, hier herrscht große Meinungsvielfalt. Allerdings gibt es auch für diese Zeitungen ein Tabuthema: Kritik an Saudi-Arabien.

Wie reagiert Saudi-Arabien auf al-Jazeera?

Für die Saudis ist al-Jazeera ein besonderes Ärgernis. Der Sender ist der einzige, der Saudi-Arabien offen kritisiert, und das auch noch vor der eigenen Haustür. Politischen Druck übt Saudi-Arabien gewöhnlich über die finanzielle Schiene aus. Offensichtlich kaufen die Saudis Medien auf, um ihre eigene Herrschaftsposition zu festigen. Man hört immer wieder von entsprechenden Drohungen auch gegen al-Jazeera.

Haben Regimes wie das in Saudi-Arabien denn wirklich so viel vor freien Medien zu fürchten?

Es gibt einfach eine lange Tradition der Zensur in arabischen Ländern. Die Medien haben Angst vor der Obrigkeit. Das reißt jetzt sogar in Palästina ein, wo die Medien immer stärker gegängelt werden. Diese Entwicklung ist nicht gut. Allerdings möchte ich darauf hinweisen, dass die arabische Medienlandschaft zum Teil auch sehr vielfältig ist. Allein in Beirut erscheinen knapp zwei Dutzend Tageszeitungen mit teilweise hohem journalistischen und literarischen Niveau.

Interview: Peter Wütherich

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