Gefährlicher Zungenschlag

„Esperanto ist die Sprache der Liebe, die nach und nach alle sprechen werden.“ Ihr Loblied auf die Plansprache Esperanto hat die Stuttgarter Band „Freundeskreis“ bis in die Musikcharts gebracht. Die Esperantisten hoffen nun auf weiteren Zulauf. Vielleicht erlebt die Idee des Internationalismus doch noch eine Wiederbelebung? Von Martin Ebner

Esperanto ist einfach und bevorzugt niemanden. Warum also plagen uns immer noch schlechte Übersetzungen, Missverständnisse und Sprachenstreit in internationalen Organisationen? Wenn die Unesco-Schätzung von drei Millionen Esperantisten rund um den Globus stimmt, käme Esperanto in der Sprachen-Hitparade auf Rang 40 – aber was ist das im Vergleich zum Englischen? Warum ist Esperanto keine Weltsprache? Die Antwort ist einfach: Gerade weil es unkompliziert und keine Staatssprache ist, wurde es immer schon bekämpft und behindert.

Dabei meinte es der Erfinder dieser „neutral-menschlichen Sprache“ nur gut. Im letzten Jahrhundert litt der jüdische Augenarzt Lazar Zamenhof im – damals russischen – Bialystok unter dem Hass zwischen Juden, Polen, Russen und Deutschen und empfand „das schwere Unglück der Sprachenvielfalt“.

Zamenhof präsentierte am 26. Juli 1887 unter dem Pseudonym „Dr. Esperanto“ („der Hoffende“) das Projekt einer „Lingvo Internacia“, einer „internationalen Sprache“. Die Zensur in Warschau hatte das „harmlose Kuriosum“ genehmigt – überlegte es sich aber schnell anders. Die Plansprache fand nämlich wider Erwarten rasch Anhänger, zuerst bei verfolgten Minderheiten wie den Juden. Zamenhof konnte bald ein Verzeichnis von tausend Esperantisten herausgeben. Zu viele potenzielle Revolutionäre, fanden die russischen Behörden und verboten Esperantoveröffentlichungen. Die Einfuhr von Publikationen blieb zunächst gestattet. Als aber die seit 1889 in Nürnberg erscheinende Zeitschrift La Esperantisto einen Artikel von Leo Tolstoi veröffentlichte, wurde auch sie verboten.

1905 trafen sich im französischen Boulogne-sur-Mer 688 Esperantisten aus dreißig Ländern zu ihrem ersten Weltkongress und stellten begeistert fest: Esperanto klingt ähnlich schön wie Italienisch; Übersetzungen von Werken wie Shakespeares „Hamlet“ oder Goethes „Erlkönig“ sind tadellos. Einwände, ein konstruiertes Idiom sei keine „richtige“ Sprache, waren damit widerlegt.

In Deutschland wurde der 1906 gegründete „Deutsche Esperanto-Bund“ dennoch angefeindet, Esperantounterricht als „kulturzerstörerisch“ abgelehnt: „Der Deutsche, der Esperanto spricht, wird von seinem Volkstum gelockert.“ Nur kleine „Natiönchen“ würden von Esperanto profitieren; „es würde sie den Vertretern der heutigen großen Welthandelssprachen gleichstellen“. Die Deutschnationalen wüteten: Esperanto sei so verwerflich wie „die Friedensgesellschaften, die Frauenrechtlerinnen, kurz alle Mischmaschler“.

Trotzdem nahm die Zahl der Esperantisten zu. Ihre Bewegung überlebte 1907 die Abspaltung von „Reformern“, die mit dem – heute vergessenen – Ido eine eigene Sprache entwickelten. Ein Jahr später gründete Hector Hodler, der Sohn des Malers Ferdinand Hodler, den Esperanto-Weltbund „Universala Esperanto-Asocio“ (UEA). Anders als die „neutrale“ UEA sahen Pazifisten, Sozialisten und Anarchisten in Esperanto ein Mittel für den politischen Kampf. Sie gründeten eigene Vereine. In der Folge wurden auch unpolitische Esperantisten als „links“ verfolgt. In Ungarn fand die Polizei, es gehe nicht an, dass Arbeiter eine Sprache lernten, die von den Arbeitgebern nicht verstanden werde. Dass Arbeiter ohne langes Studium unbeaufsichtigt mit Ausländern Kontakt aufnehmen könnten, stieß jedoch auch bei den „Arbeiterparteien“ auf Skepsis. Die SPD-Führung untersagte dem Vorwärts, über Esperanto zu berichten: Diese „bürgerliche Torheit“ lenke bloss vom Klassenkampf ab.

Nach dem Ersten Weltkrieg hofften die Esperantisten auf den Völkerbund. Dessen stellvertretenden Generalsekretär, den Japaner Inzo Nitobe, beeindruckte der 13. UEA-Weltkongress: „Während die Reichen und Gebildeten sich an Literatur und wissenschaftlichen Abhandlungen im Original erfreuen, benutzen die Armen Esperanto als Lingua franca. Esperanto wird auf diese Weise ein Motor internationaler Demokratie und starker Zusammengehörigkeit.“

1920 forderten Belgien, Italien, Chile, China und andere Staaten, Esperanto an den Schulen zu fördern. Frankreich sah nun das Französische bedroht – es verbot Esperantisten die Einreise und den Gebrauch ihrer Sprache bei offiziellen Veranstaltungen. Der bulgarische Erziehungsminister löste alle Schülerklubs auf: „Da Esperanto eine leichte Sprache ist, würden sich die Schüler an das Leichte gewöhnen und den Willen verlieren, schwierigere Dinge zu lernen; da Esperanto international ist, würden sie am Internationalismus Gefallen finden.“

In der „Kommission für geistige Zusammenarbeit“ des Völkerbundes befanden Intellektuelle, die „Volksmassen“ hätten keinen Bedarf an internationaler Verständigung: Sie träten über ihre „Führer“ in Kontakt. Außerdem bedrohe Esperanto die Arbeitsplätze von Dolmetschern und Lehrern.

Die Weltwirtschaftskrise beendete dann die erste Globalisierung. In Deutschland hetzten die Nazis gegen die „hemmungslos pazifistische Einheitssprache für alle Rassen“. Nach der Machtergreifung wurden die Esperantoverbände der Kommunisten und Sozialdemokraten ausgeschaltet, viele ihrer sechstausend Mitglieder ins KZ gebracht. Der „bürgerliche“ Deutsche Esperanto-Bund biederte sich mit dem Ausschluss von „Nichtariern“ an; 1936 musste er sich trotzdem „freiwillig“ auflösen. Trotz aller Gestaposchikanen wurde die „Sprache des Weltjudentums“ aber für den Privatverkehr nie verboten.

Für ihr Großreich planten die Nazis ein vereinfachtes Deutsch. In Osteuropa, wo alle Juden und Intellektuellen ausgerottet werden sollten, hatten Esperantisten kaum Überlebenschancen. Die Familie Zamenhof gehörte zu den ersten Opfern. In Westeuropa war die Verfolgung nicht so grausam, aber die Esperantoorganisationen wurden aufgelöst, das Internationale Esperantomuseum in Wien geschlossen.

Hoffnungsvoller sah die Zukunft des Esperanto als „Sprache des Weltproletariats“ aus: 1917 freuten sich die sowjetischen Esperantisten über das Ende der zaristischen Polizei und veröffentlichtenBriefe von Esperantisten aus aller Welt in der Sowjetpresse. Die „Posto USSR“ druckte 1925 die erste Briefmarke mit Esperantotext. Lew Kopelew, der 1926 Esperanto lernte, erinnert sich an die Korrespondenz seines Lehrers: „Mir stockte das Herz beim Anblick der Umschläge mit Briefmarken aus Australien, Japan, den USA, Argentiniens ... Die Zukunft erschien mir klar: Die Menschen aller Länder würden einander verstehen.“

Schnell erkannten die sowjetischen Kommunisten jedoch: „Individuelle Korrespondenz ist sehr schwer kalkulierbar“; ausländische Esperantisten stellen lästige Fragen und die heimischen „verbreiten lügnerische Berichte über angebliche Krisen in der Sowjetunion, über eine angeblich grausame Behandlung politischer Gefangener“. 1937 wurde die „kosmopolitische Sprache“ verboten.

Der Schauspieler Nikolai Rytjkow etwa wurde angeklagt: „Sie sind Mitglied einer internationalen Spionageorganisation, die sich als'Vereinigung sowjetischer Esperantisten‘ in der UdSSR verborgen hat.“ Das Urteil: acht Jahre Lager, danach „ewig“ Sibirien. Auch die Satellitenstaaten wurden auf Linie gebracht: Die DDR untersagte Esperanto im Jahr 1949.

Erst nach Stalins Tod wurde Esperanto im Osten wieder geduldet. Die Sowjets protestierten nicht, als 1954 die Unesco der UEA Beraterstatus einräumte. Die DDR hob 1961 das Verbot auf. Sowjetische Esperantisten durften wieder den jährlichen Weltkongress der UEA besuchen. Als eine der raren Möglichkeiten für Auslandskontakte wurde Esperanto sogar recht populär. 1980 gaben in China vierhunderttausend Menschen an, Esperanto zu sprechen.

Trotz des Triumphs des Englischen hält sich Esperanto heute tapfer. In Deutschland gibt es an die zehntausend Esperantisten, rund 1.500 sind im DEB organisiert. Wer will, kann seine Doktorarbeit auf Esperanto schreiben – an der „Internationalen Akademie der Wissenschaften“, die 1985 in San Marino von fünfhundert Wissenschaftlern gegründet wurde. 1993 wurde Esperanto vom Internationalen PEN-Club anerkannt, da mindestens zwanzig Autoren in der Sprache schreiben. Mit Bill Auld wurde vergangenes Jahr erstmals ein Esperantist für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen. Und selbst, wenn das Angelsächsische siegt, ist noch nicht aller Tage Abend: Auf Hawaii werden Kinder mit Esperanto auf den Englischunterricht vorbereitet. Auch die Sänger von „Freundeskreis“ versichern: „Das ist erst der Anfang. Wir glauben an Esperanto.“

Martin Ebner ist Historiker und lebt in Berlin