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Gefährlich blauäugig

■ Betr.: „Zeigen oder nicht zeigen“ („Beruf Neonazi“ im Fernsehen: Erst mal Ausschnitte), taz vom 19.2.94

Ich halte den Kommentar von Hans-Herrmann Kotte für gefährlich blauäugig. Für wie dumm hält Hans-Herrmann Kotte seine Mitmenschen, wenn er meint, ihnen die Auseinandersetzung mit dem Film abnehmen zu müssen. Wir leben in einer pluralistischen Gesellschaft, in welcher sich jeder frei seine Meinung bilden soll. Daß dies bei einer solchen Zensur möglich ist, wage ich zu bezweifeln.

Sicher enthält der Film viele Streitpunkte. Aber weshalb sollen diese nicht an die Öffentlichkeit? Ist die Angst vor dem ungezogenen Mob so groß? Wenn den Menschen unserer Gesellschaft eine fruchtbare Auseinandersetzung mit Problemen nicht zugetraut wird, sie von vornherein als verfänglich für falsche Argumente gelten, so bleibt die Frage, ob die Zensur dieses Filmes den endgültigen Zusammenbruch der pluralistischen Demokratie in Deutschland zu verhindern mag.

Was das Argument des Kultfilms angeht, bin ich sicher, daß dieser Film auch ohne vollständige Ausstrahlung sich in die Reihe der beliebtesten Kultfilme von Neonazis einreihen wird. Dies hat er vor allem der ewigen Debatte um seine Zensur zu verdanken. Denn nun haben die Nazis ein noch besseres Argument (als den Film), nämlich daß sich doch wahre Passagen in dem Film finden lassen. Dieser fragwürdige Erfolg wäre bei unzensierter Ausstrahlung sicherlich vermeidbar gewesen. Julia Kasper, Berlin

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