Gechlortes Geflügel aus den USA: Streit ums Hähnchen
Um den Handel mit den USA zu erleichtern, erklärt die EU-Kommission gechlortes Hühnerfleisch für unbedenklich. Die EU-Mitgliedsstaaten müssen noch zustimmen.
BERLIN taz Wer künftig in der Europäischen Union Hühnchen isst, könnte eine Portion Chlor gratis dazubekommen. Denn chlorbehandeltes Geflügel gilt nicht länger als gesundheitsgefährdend - Industriekommissar Günter Verheugen spricht von "unbedenklich" und will, dass die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten nun ihr Okay geben, das Importverbot für US-Hühner aufzuheben. Das ist seit 1997 in Kraft, weil in den USA - anders als in der EU - Geflügel mit Chlor behandelt werden darf, um Keime abzutöten.
Als die über zehnjährige Putenkrise beigelegt war, freuten sich die Industriellen über den ersten großen Erfolg des Transatlantischen Wirtschaftsrats. "Wir sind der weiteren Integration des transatlantischen Wirtschaftsraums einen guten Schritt näher gekommen", sagte der Präsident des Bundesverbandes der Industrie, Jürgen Thumann.
Der Transatlantische Wirtschaftsrat ist ein Gremium zur Regulierung des Handels zwischen den beiden Wirtschaftsblöcken EU und USA. 40 Prozent des gesamten Welthandels werden zwischen Europa und Nordamerika abgewickelt - der Rat soll dafür sorgen, dass es noch mehr wird, möglichst ohne echte und gefühlte Zollschranken.
Initiatoren des im April 2007 unterzeichneten Abkommens waren die damalige EU-Ratspräsidentin Angela Merkel und US-Präsident George W. Bush. Bis 2015, so die Vision, soll daraus ein gemeinsamer Markt nach dem Vorbild des EU-Binnenmarktes entstehen. Der Pakt sieht vor, Handelshemmnisse wie Zölle und Steuern abzubauen, Bilanzierungsstandards anzugleichen und Auflagen zum Umwelt- und Verbraucherschutz zu vereinheitlichen.
Verheugen beruft sich dabei auf eine Studie, die die Kommission bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) in Auftrag gegeben hat. Diese hatte bereits vor einigen Jahren erklärt, dass kein Gift in Hühner gelange, wenn sie mit Chlorverbindungen besprüht worden sind. Der Deutsche Bauernverband ist sich da nicht so sicher - und weist damit auf den eigentlichen Hintergrund der Debatte.
Denn tatsächlich geht es nicht ausschließlich darum, dass die besprühten Tiere nun als "unbedenklich" für den Menschen gelten. Es geht um Handel. Es geht um 180 Millionen Dollar, von denen die US-Regierung spricht. So viel entgehe den amerikanischen Hühnerzüchtern durch das Embargo. Das ist nur ein minimaler Teil des gesamten Handels über den Atlantik. Dieser hat ein Gesamtvolumen von 620 Milliarden Euro - aber ist die Hühnerhürde erst mal überwunden, wird es weitergehen.
Denn es geht natürlich auch um Deals: Kommt die EU den Vereinigten Staaten entgegen, werden sich diese auch den EU-Wünschen gegenüber aufgeschlossener zeigen. Die Europäer wollen Elektronikgeräte ungehindert in den USA verkaufen können, die andere Seite möchte den europäischen Markt weiter für die amerikanische Kosmetikindustrie öffnen.
Im Juni findet das jährliche Gipfeltreffen von EU und den USA in Slowenien statt. Dann soll der Fall der Barrieren unterschriftsreif sein. Die Vision: Langfristig soll ein gemeinsamer Binnenmarkt, der sogenannte Transatlantische Wirtschaftsraum, entstehen. Von einer solchen Freihandelszone, so die Überzeugung, würden beide Seiten profitieren - bis zu drei Prozent mehr Wirtschaftswachstum in Europa und zwei Prozent mehr in den USA verspricht man sich davon.
Die Lobbyisten denken anders. Der Deutsche Bauernverband hat seine eigenen Leute im Auge. Allein der Zentralverband der Geflügelwirtschaft zählt 8.000 Mitglieder. Gemeinsam mit der Verbraucherzentrale wandten sich die Organisationen schriftlich an Kanzlerin Angela Merkel (CDU): "Dem Grundsatz des vorbeugenden Verbraucherschutzes sollte höchste Priorität beigemessen werden", meinten sie - und pochten auf Erhalt des Einfuhrverbots.
Das bedeutet: Noch ist die Hühnerkrise nicht bewältigt. Denn erst müssen die EU-Mitgliedsstaaten zustimmen. Deutschland hat sich bereits dagegen ausgesprochen, die US-Hühnerimporte freizugeben. Auch Frankreich ist gegen den Plan der Kommission. Damit das Einfuhrverbot fällt, müssen die Mitgliedsstaaten mit qualifizierter Mehrheit zustimmen. Stimmen die Länder dagegen, muss die EU-Kommission die Aufhebung des Einfuhrverbots erneut beraten.
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