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■ Die G-7-Gipfel sind zu Medienspektakeln degradiert. Der Globalisierung werden sie schon lange nicht mehr gerechtGebt China eine Chance!

Statt der einst gefürchteten Entstehung einer „Weltregierung der Reichen“ Vorschub zu leisten, sind die Weltwirtschaftsgipfel der G-7-Gruppe in den neunziger Jahren zu politischen Randereignissen am Wege einer anscheinend unkontrolliert voranschreitenden Globalisierung verkümmert. Nichts könnte den Bedeutungsverlust der Gipfel besser illustrieren als die Versuche des amerikanischen Präsidenten Bill Clinton, nach den Bombenattentat in Saudi-Arabien den Kampf gegen den internationalen Terrorismus zum Hauptgegenstand der Gespräche in Lyon zu machen. Nie zuvor ließ sich ein Weltwirtschaftsgipfel so leicht dem Diktat der Medienaktualität unterordnen wie heute.

Aber auch die reguläre Tagesordnung von Lyon verschafft dem aufmerksamen Weltbürger keinen Einblick in die wirklichen Probleme. Der gestern ausgetragene Streit um das von den USA anvisierte Handelsverbot mit angeblichen Terrorstaaten wie Libyen, Iran und Kuba beleuchtet allenfalls einen Nebenschauplatz der Weltpolitik. Die sieben Regierungschefs verlieren freilich den letzten Rest an Glaubwürdigkeit, wenn sie die Probleme der Massenarbeitslosigkeit und des sinkenden Lebensstandards breiter Bevölkerungsgruppen im Westen nicht in den Mittelpunkt ihres Gipfels stellen.

Wer in den G-7-Treffen ohnehin nur eine Gelegenheit für die Selbstdarstellung der anwesenden Politiker sieht, den dürfte das nicht stören. Doch sollten die seit 1975 stattfindenen Gipfelgespräche ursprünglich als weltpolitisches Frühwarnsystem dienen. Statt Entscheidungen zu fällen, wollten sich die Regierungschef einmal im Jahr über die Probleme der Zukunft verständigen und die Weltöffentlichkeit davon unterrichten. Das klappte zumindest ansatzweise in den Jahren, als die Sowjetunion auseinanderfiel. Damals setzte die G-7-Gruppe mit der Einbeziehung von Michail Gorbatschow ein wichtiges Signal für die politische Zusammenarbeit zwischen Moskau und dem Westen.

Ende der neunziger Jahre müßten die reichen Industrieländer nun einen zweiten Öffnungsschritt wagen: Es ist an der Zeit, China in den Klub der Großen aufzunehmen. Die schiere Größe und das Wachstum der Volksrepublik verlangen diesen Schritt. Sonst würde der Weltwirtschaftsgipfel im nächsten Jahrhundert ohne die größte Wirtschaftsmacht tagen. Vor allem aber könnte ein G-7-Ticket für den chinesischen Staatspräsidenten Jiang Zemin den Bürgern des Westen symbolisch näherbringen, was Globalisierung in Wahrheit bedeutet: nämlich den Reichtum der Erde in zunehmenden Maße mit 1,2 Milliarden Chinesen zu teilen. „Abgesehen vom kleinen, diamantenreichen Botswana war China seit 1978 die am schnellsten wachsende Volkswirtschaft der Welt“, sagt die Weltbank in ihrem am Donnerstag veröffentlichten Entwicklungsbericht. Die Weltwirtschaftsgipfel sollten das nicht länger ignorieren.

Andernfalls laufen Gipfel wie jetzt in Lyon Gefahr, die Selbstsuggestion einer von Amerika und Europa dominierten Weltwirtschaft zu pflegen. Erfahrungsgemäß ändert daran auch die Gegenwart japanischer Premierminister nichts, die sich für westliche Kameras in aller Regel unsichtbar machen. Erst die Einbeziehung Chinas, der eines Tages die Einladung Indiens folgen müßte, kann hier neue Zeichen setzen: Nur mit den Riesen Asiens an einem Tisch lassen sich die dramatischen Folgen der Globalisierung politisch überhaupt formulieren. Steigende Arbeitslosigkeit im Westen und zunehmende Ausbeutung von billigen Arbeitskräften in Asien sind zwei Seiten einer Medaille.

Die Aufnahme Chinas in die G-7-Gruppe könnte zudem die Reformer in Peking stärken und das Land ermutigen, von seinem nationalistischen Kurs abzurücken. Gegenwärtig versucht Peking, die Regeln der Globalisierung selbst zu schreiben. Es tritt Menschenrechte und Urheberrechte mit Füßen und bemüht sich, europäische und amerikanische Wirtschaftsinteressen gegeneinander auszuspielen. Solange der Westen nur bilateral mit Peking im Gespräch ist, wird sich daran wenig ändern. Im Kreis der G-7-Gruppe ließe sich die westliche China-Politik nicht nur besser aufeinander abstimmen. Der Westen könnte hier auch seine Forderungen klarstellen: Wahrung der Menschenrechte, Beachtung von Urheberrechten, Einhaltung des Nicht-weiterverbreitungsvertrages von Atomwaffen usw. Dabei bliebe es jedoch nicht. Allein mit der Aufnahme Chinas würde der Westen sein Interesse an einer strategischen Partnerschaft mit Peking signalisieren. Wie im Fall der Sowjetunion ginge damit keine allgemeine Anerkennung der chinesischen Politik einher.

Der Weltwirtschaftsgipfel gäbe Peking umgekehrt die Gelegenheit, seine berechtigten Forderungen zu stellen. Dazu gehörte etwa die filtertechnische Hochrüstung der chinesischen Kohlekraftwerke, die andernfalls zur größten C02-Quelle in der Welt anwachsen würden. Niemand im Westen kann von China auf seinem gegenwärtigen Entwicklungsstand erwarten, daß es sich den ökologischen Normen der reichen Industrieländer unterwirft. Eine Antwort der G 7 auf die Umweltherausforderung China ist unerläßlich.

Ganz allgemein gilt, daß der Westen einseitige Vorleistungen bringen muß, um sich China zum Partner zu machen. Noch immer sprechen chinesische Politiker vom „Jahrhundert der Demütigung“ – so der Titel eines chinesischen Geschichtsbuchs, das zur Übernahme Hongkongs im nächsten Jahr erscheinen soll. Fast alle Länder der G 7 waren für die Demütigungen Chinas in der Vergangenheit mitverantwortlich. Schon deshalb scheint der G-7-Kreis am besten geeignet, die alten Komplexe der chinesischen Politik abbauen zu helfen.

Für Bonn böte sich zudem eine Chance, dem derzeitigen Dilemma der deutsch-chinesischen Beziehungen zu entkommen. Ein Vorschlag des deutschen Bundeskanzlers, China in der G-7-Gruppe willkommen zu heißen, wäre keine Anbiederung an die Pekinger Machthaber, sondern eine zeitgemäße Fortsetzung der Tradition deutscher Entspannungspolitik. Georg Blume, Tokio

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