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Gebeulte Frisuren

Mühsam gerettetes Familienglück: Kjell-Ake Anderssons „Familjehemligheter – Family Secrets“ (Panorama)

Langsam schälen sich aus den Tiefen des fotochemischen Prozesses die Umrisse eines Einfamilienhauses. Das Bild schwappt in der Entwicklerflüssigkeit, in rotes Licht getaucht durch die Dunkelkammerbeleuchtung. Das Leben ist geregelt im Eigenheim: Ernährer Bosse begibt sich jeden Morgen auf den Weg zur Arbeit, Hausfrau und Mutter Mona beschränkt ihre beruflichen Ambitionen auf die Altenpflege, die drei Kinder durchleiden die Fährnisse des Erwachsenwerdens. Die Familie aus „Familjehemligheter“ ist nicht nur eine typisch schwedische, sondern eine typisch westliche.

Die Familie ist die Keimzelle dieser Gesellschaft, Ziel allen Strebens und Hort des Glücks. Und dieses Glück scheint zwar langweilig und spießig, aber perfekt in Bosses Eigenheim. Doch eines Morgens räkelt er sich und sagt zu seiner Frau: „Ich hatte diesen wunderbaren Traum“, und Mona antwortet: „Sieh zu, dass du aus dem Bett kommst.“ Es ist der erste Riss in der Vorstadtidylle. An einem einzigen Wochenende verliert der kleine Sohn seinen besten Freund, die Tochter ihre Unschuld, der große Sohn seine Verklemmtheit, Mona den Sinn in ihrem Leben und Bosse alles, was ihm lieb ist. Die vielen kleinen Problemchen addieren sich zur Katastrophe, die den Familienvater einfach überrollt. Unter dem Eigenheim fließt eine Wasserader, die das Fundament angreift. Das Haus zu sanieren wäre ebenso teuer wie es einzureißen und ein komplett neues zu bauen, muss Bosse erfahren. Das Leben ist ein Fluss und nichts von Dauer. Wie das Haus droht nun auch die Familie zu zerbrechen.

Nicht nur in dieser Infragestellung der Institution Familie erinnert Kjell-Ake Anderssons „Familjehemligheter“ an „Der Eissturm“ von Ang Lee, auch wenn der Blick auf die Figuren ein wesentlich weniger spöttischer ist. Ebenso wie Ang Lee hat auch Andersson seine Geschichte in den späten 70er-Jahren angesiedelt. Im Fernsehen läuft „Die Zwei“, die Frisuren beulen sich wie Kotflügel über den Ohren und die Geschichten von den Exzessen der Sex Pistols werden mit ungläubigem Staunen quittiert. Es ist eine Zeit im Umbruch, aber die Vorstadtsiedlung bleibt davon seltsam umberührt.

Schlussendlich findet in Schweden die Familie wieder zueinander. Die Idee Kleinfamilie wird nicht grundsätzlich verdammt. Es scheint, als wollte Andersson vor allem vorführen, welch fragile Konstruktion sie ist. Das ist ihm mit diesem stillen, ebenso unspektukulären wie eindringlichen Film gelungen.

THOMAS WINKLER

„Familjehemligheter“, Regie: Kjell-Ake Andersson. Schweden 2000, 102 Min.

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