Gebäcktesterin Anne Seubert: „Alles kann ein Keks sein“
Kekse sind sympathisch, findet Bloggerin Anne Seubert – auch die mit Senf gefüllten. Über Enttäuschungsmomente und den Vorteil gegenüber Kuchen.
taz: Frau Seubert, haben Sie schon mal selbst Senf in Pfannkuchen gefüllt?
Anne Seubert: Nein, leider noch nicht. Aber ich würde gerne Senfkekse backen.
Das klingt nicht viel appetitlicher. Gibt es so was?
Nein. Deswegen ja. Und wussten Sie, dass Berliner nicht nur mit Senf gefüllt werden, sondern auch mit Sägespänen?
Nein. Aber normalerweise ist Faschingsgebäck eher saftig, oder? Es fällt auf, dass vieles in heißes Fett getaucht wird, wenn es auf Aschermittwoch zugeht.
Das liegt traditionell an den harten Zeiten, die bevorstehen, wenn die Fastenzeit auf einen lauert. Man will sich noch einmal stärken. Faschingsgebäck ist meistens sehr gehaltvoll, die Teige enthalten Fett, Zucker und Ei. Aber es ist nicht nur der Aschermittwoch, sondern auch der schmutzige Donnerstag, an den man bei diesem Thema denken muss.
Der Tag, an dem Weiberfasching gefeiert wird.
Interessant ist, dass dieser Ausdruck sich gar nicht in Zusammenhang mit Schmutz entwickelt hat, sondern mit Schmalz.
geboren 1979, ist Kulturwissenschaftlerin. Sie hat 2009 das Internetportal kekstester.de gegründet und bloggt dort über Kekse – geschenkte, gekaufte oder selbst gebackene, aus Japan oder Indien, mit Lakritze oder Fenchel. Außerdem schreibt sie Gedichte und Kurzprosa. Anne Seubert lebt in Berlin.
Es müsste also schmalziger Donnerstag heißen.
Vor der Fastenzeit wurde meist noch einmal geschlachtet. Dann begann das Großreinemachen. Und gleichzeitig stand man vor dem Problem, dass es nun viel Fett gab, das schnell wegmusste. Also benutzte man es auch zum Backen. Ein anderer Grund ist sicher, dass man Fettgebäck auch machen kann, wenn man keine Backröhre hat. Es ist nicht viel vonnöten, jeder kann das. Auch die Geschichte des Berliner Pfannkuchens rührt der Legende nach daher.
Die müssen Sie erzählen.
Die Pfannkuchen sollen 1756 von einem Zuckerbäcker erfunden worden sein, der unter Friedrich dem Großen bei den Kanonieren dienen sollte, es aber nur zum Feldbäcker brachte. Weil es auf dem Feld keinen Ofen gab, buk er Hefeteigballen in Pfannen, die mit heißem Fett gefüllt waren. Und wegen seiner Faszination für die Artillerie gab er seinem Gebäck die Form von Kanonenkugeln.
Ist der Berliner Pfannkuchen identisch mit dem, was man in Süddeutschland Krapfen nennt? Und auch Vorbild? Oder gibt es auch noch andere Geburtsstätten?
Es gibt keinen Urpfannkuchen, sondern unendlich viele Varianten. Denken Sie an hessische Kreppel, rheinische Hefeballen, Mutzen, Quarkbällchen oder Nonnenfürzchen, die sind etwas kleiner. Und dann gibt es auch noch die flacheren Sorten, Auszogene in Bayern oder Schenkeli in der Schweiz. Ich liebe besonders die Merveilles. Die sind hauchdünn, haben ein Orangenaroma. Und kommen aus dem Elsass, ich kenne sie aber auch aus der Schweiz. Basler sagen dazu Fastnachtschüechli.
Was macht einen guten Pfannkuchen aus?
Wichtig ist der weiße Rand. Der zeigt, dass der Hefeteig aufgegangen ist.
Ich will so hineinbeißen können, dass die Hände und das halbe Gesicht mit Puderzucker überstäubt sind.
Und mit dem ersten Biss muss man schon die Füllung erreichen. Sonst hat man einen Enttäuschungsmoment: Man weiß nicht, welchen Geschmack man erwischt hat. Und ob es doch der Pfannkuchen mit Senf ist.
Je kleiner, umso feiner.
Unbedingt! Je kleiner die Teilchen sind, umso gehaltvoller. Bei den größeren Varianten ist die Gefahr groß, dass nur Luft drin ist oder das Verhältnis von Fülle und Teig nicht stimmt. Und: Je unregelmäßiger die Teilchen geformt sind, umso mehr kann man davon ausgehen, dass sie handgemacht sind.
Hat der Krapfen für Sie einen ernsthaften Konkurrenten? Die Merveille wahrscheinlich?
Auf jeden Fall. Aber ich finde schon, der Berliner hat was. Er ist übrigens auch ein Exportartikel der Hauptstadt. In Portugal etwa heißt er Bolo de Berlin, es gibt ihn das ganze Jahr und die Portugiesen lieben ihn. Entweder ungefüllt oder mit Vanille. Die Begegnung dort hat meine Wertschätzung für den Berliner Pfannkuchen erst geweckt.
Er ist also auch ein Keks, der die Welt verändert.
Und zwar zum Positiven: Er ist einer, der sie etwas besser macht.
Das ist das Motto Ihres Blogs. Gibt es Kekse, die tatsächlich die Welt verändert haben?
So wie der deutsche Butterkeks? Im Ernst: Es gibt durchaus Kekse wie den sogenannten Anzac-Cookie, der Teil der Truppennahrung der australischen Armee im Ersten Weltkrieg war. Solche Kekse, die enorm nahrhaft und ähnlich wie Zwieback extrem lang haltbar sind, haben sicher vielen Menschen über harte Zeiten geholfen. Und ich will nicht wissen, wie viele Kekse heute einsame Menschen an Weihnachten retten. Der Keks ist keine Erfindung einer einzelnen Nation oder eines krümelbegeisterten Menschen. Man kann nicht mal sagen, der Keks wäre zu einem bestimmten Zeitpunkt in unser Leben getreten und hätte es verändert. Er war eigentlich schon immer da. Ein kulturübergreifendes Nahrungsstückchen. Ob das jetzt eine Pariser Macaron oder der amerikanische Chocolate Chip Cookie ist, der zusammen mit einem Glas Milch für Mutterliebe steht. Oder der mit Senf gefüllte Pfannkuchen, der für uns fest zu Fasching gehört.
Ist das nicht eine sehr weite Auslegung des Begriffs „Keks“?
Ach, ich bin da nicht dogmatisch. Meine Definition ist sehr umarmend: Ich nehme alles, was klein und krümelig daherkommt. Es muss nicht mal zwingend süß sein. Alles kann ein Keks sein, solange es keine Buttercremetorte ist.
Was ist der Unterschied?
Kekse haben einige Vorteile: Sie sind von Grund auf sympathisch, weil sie klein und handlich sind. Man muss sich nicht für einen entscheiden, kann verschiedene probieren, auch schon vor dem Verschenken. Bei Kuchen ist das schwieriger. Kuchen muss man anschneiden, um festzustellen, ob sie gut geworden sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles
Machtkämpfe in Seoul
Südkoreas Präsident ruft Kriegsrecht aus
Habeck wirbt um Fachkräfte in Kenia
Gute Jobs, schlechtes Wetter
Gesetzentwurf aus dem Justizministerium
Fußfessel für prügelnde Männer
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style