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■ GastkommentarNachholbedarf

Ganz klar, die moralischen Puristen argwöhnen, daß sich viele Teilnehmer an der Lichterkette vor allem ein gutes Gefühl und ein Alibi für das „schönste Fest des Jahres“ verschaffen wollen. Das mag so sein. Es gehen ja auch manche zur Christvesper, weil sie sich einen Ablaß für nicht geleistete Taten der Nächstenliebe besorgen möchten. Immerhin, sie gehen, und vielleicht haben sie Glück und geraten an einen Pfarrer, der die Botschaft der Hirten auf dem Felde nicht als ein fernes und abstraktes biblisches Ereignis kommentiert, sondern der seiner Gemeinde bewußtzumachen versteht, daß sich diese Botschaft, durch das Ereignis von Bethlehem veranlaßt, ganz entscheidend auf das friedliche Zusammenleben der Menschen aller Rassen und Hautfarben bezieht.

Weder die Kerzen in den Fenstern noch die Lichterketten-Demo sollten als ein Stück politisches Showbusineß denunziert werden. Wer da mitmacht, wer einen kleinen Verzicht auf weihnachtlichen Komfort leistet, ist ein Zeuge gegen den Ungeist des Rassismus und Antisemitismus und jeglicher Gewalt.

Ganz klar, daß sich keiner, der mitmacht, von der Pflicht dispensieren kann, im eigenen Umfeld dabei zu helfen, daß anderen, die verstockt oder nur begriffsstutzig sind, ein Licht aufgesteckt wird. Die Frauen und Männer, die anderswo Lichterketten gebildet haben, müssen nicht gleich als deutsche Lichtgestalten idolisiert werden. Immerhin, sie haben ein gutes und wichtiges Signal gegeben. Berlin hat etwas nachzuholen.

Von einem amerikanischen Freund aus Stanford bekam ich gestern einen Brief, in dem es heißt: „Die jüngsten Nachrichten aus Deutschland, die Massendemonstration in München und anderen Städten gegen die alarmierende Scheußlichkeit früherer Manifestationen der rechten Irren lassen mich zum ersten Mal seit einigen Monaten Hoffnung schöpfen. Endlich machen auch anständige Deutsche von sich reden, und das ist beruhigend. Vielleicht bin ich zu optimistisch. Ich hoffe nicht.“ Ich würde diesem Freund gern berichten, daß die Stadt, von der so viele Male Zeichen des Horrors ausgegangen sind, den Ernst der Stunde erkannt hat. Klaus Bölling

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