■ Gastkommentar: Berlin – vom Teufel geritten?
Eigentlich fällt sie nur dadurch auf, daß sie keine Wohnungsbaupolitik macht, die Bonner Bauministerin Irmgard Schwaetzer. Aber Berlin läßt sich von Frau Schwaetzer zur Verschandelung der eigenen Stadt hinreißen, als sei es der Leibhaftige, der die Stadtregierung reitet.
In Bonn findet um das Auswärtige Amt städtisches Leben nicht statt. Das Amt auf dem Marx-Engels-Platz hätte dieselbe fatale Folge: ein großes schwarzes Loch, ein lebloses Nichts am Ende der berühmtesten und – hoffentlich – bald wieder belebtesten Straße der vereinigten Stadt. Dem Auswärtigen Amt sei ein repräsentativer Standort gegönnt, aber gewachsene Stadtstrukturen darf es nicht zerstören. Genau das bewirkt die Entscheidung des gemeinsamen Ausschusses.
Der sympathische Verzicht des Bundespräsidenten auf das Kronprinzenpalais wäre dann vergeblich gewesen. Verfallen die Berliner dem Größenwahn, und spielen sie – unbewußt – den Bonner Umzugsverlangsamern in die Hände? Unerfindlich, wie die Berlin-Vertreter im gemeinsamen Ausschuß diesem stadtfeindlichen Konzept zustimmen konnten.
Oder war es das Nachgeben vor finanziellen Pressionen, weil Berlin halt leider nicht aus eigener finanzieller Kraft Hauptstadt werden kann? „Man kümmert sich nicht um die vorhandene Stadtstruktur, sondern baut Regierungsfestungen... Man zieht nicht ein, wo leere Gebäude sind, sondern will alles neu, größer und besser...“, schrieb der Stadtplaner Dieter Hoffmann-Axthelm in der taz.
Das – so bestätigt sich – ist die Bonner Maxime für Berlin. Die Berliner Maxime für die Stadt muß dagegen sein: gelassene, aber auch selbstbewußte Bescheidenheit für die Hauptstadt einer Republik der Bürger. Wolfgang Thierse
Der Autor ist Berliner Bundestagsabgeordneter und stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD
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