Gastkommentar: Schulpolitik-Versagen
■ Die Zahlen der Schulabbrecher zeigen: Politik geht an den Problemen vorbei
„Über Motivation bzw. Ursache des Verlassens von Schule werden keine statistische Daten erhoben“...
...so lautet die Antwort auf die Frage der Bündnisgrünen, ob die Kids die Schulen verlassen, weil sie keine Lust mehr haben oder weil sie die Leistungsanforderungen nicht schaffen. Diese Antwort ist kennzeichnend für das Verhältnis der Schulbürokratie zu den Bedürfnissen der NutzerInnen ihrer Dienstleistung. Tatsächlich ist die Entwicklung des bremischen Schulwesens ein Signal für das Versagen staatlicher Bildungspolitik speziell in dieser Stadt.
Nahezu jede/r achte Schulabgängerln eines Jahrgangs verläßt die Schule ohne Abschluß – knapp 500 von ihnen nach 12 Jahren Schulbesuch, 12 Jahre Mißerfolge, 12 Jahre vergebliches Mühen, die geforderte Leistung doch noch zu bringen – und trotzdem steht am Ende das Versagen: Du hast es nicht geschafft. Kein Wunder, daß nach den Zahlen der Senatorin (ich vermute, daß sie eher höher sind) 53 Schülerinnen die Schulen einfach verlassen, obwohl sie gesetzlich zum Besuch der staatlichen Zwangseinrichtung verpflichtet wären. Was tun wir diesen Kids in unseren Schulen eigentlich an?
Aber dieser Ausschnitt stellt nur die Spitze des Eisbergs dar: Der Anteil der Hauptschulabsolventen steigt in jedem Jahrgang, der der Abiturienten sinkt rapide (von über 40 Prozent auf mittlerweile 33 Prozent eines Jahrgangs). Der Übergang von der Schule in das Arbeitsleben gelingt immer weniger und das nicht nur wegen der Arbeitsmarktsituation, sondern auch wegen des strukturellen Versagens der schulischen Einrichtungen. Kein Bundesland investiert so viel staatliche Institution in die Berufsvorbereitung. In Bremen ist trotzdem die Anzahl der Ausbildungsabbrecherlnnen höher als in anderen Bundesländern.
Das staatliche Bildungssystem erreicht einen zunehmenden Anteil von Jugendlichen nicht mehr, in ihm verschärft sich der Auslesedruck und das reale Ausleseverhalten. Den Jugendlichen wird damit wieder zunehmend signalisiert, daß sie die Versager sind und nicht etwa die Gesellschaft, die trotz eines nahezu obzönen Reichtums nicht in der Lage ist, die Arbeit und damit die Verteilung von Einkommen so zu organisieren, daß alle einen menschenwürdigen Platz in ihr finden.
Die Erkenntnis, daß die staatlichen Bildungseinrichtungen die Jugendlichen immer weniger erreichen, war ein entscheidender Anlaß in der vergangenen Legislaturperiode, von der zentral vorgegebenen Schulgestaltung wegzugehen und stattdessen auf die regionalen Bedürfnisse zugeschnittene dezentrale (autonome) Schulentwicklung voranzutreiben.
Und was wird durch die offizielle Bildungspolitik in Bremen diskutiert: Zentralismus bis zum Abwinken, Einrichtung eines Wirtschaftsgymnasiums, einer internationalen Schule, Zerschlagung von Sek-1-Zentren, Lehrerarbeitszeit, ob eine Stunde 45 Minuten beträgt und ob die Hauptschulabschlußkurse jetzt auch noch in das in weiten Bereichen versagende staatliche Schulwesen mit seinen häufig starren und ignoranten Strukturen eingegliedert werden soll. Es wird an den realen Problemen der Jugendlichen vorbei diskutiert und gehandelt. Nicht Organisationsdebatten über Schulsysteme sind angesagt, sondern wie Formen und Inhalte gefunden werden, mit denen die Jugendlichen zurechtkommen.
Helmut Zachau, MdBBÜ
Bildungspolitischer
Sprecher der Grünen
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