Gastkommentar: Suche nach Alternativen
■ Die grüne Ausländerbeauftragte Marieluise Beck zum Kosovo-Konflikt
In Europa herrscht Krieg, und das erfüllt die Öffentlichkeit, das erfüllt uns mit tiefem Schrecken. Der Krieg ist jetzt im achten Jahr – er hat nicht erst begonnen, seit die Flugzeuge der Nato fliegen. Krieg und Vertreibung begannen mit der Zerstörung der Stadt Vukovar, von vielen von uns kaum bemerkt, aber in seiner Grausamkeit schon ein Menetekel für das, was den Balkan in den kommenden Jahren erwarten würde. Der Wendepunkt in diesem Krieg war nicht Srebrenica. Es gab ein Srebrenica vor dem 10. Juli 1995, die Orte heißen Prijedor, Banja Luka, Foca, Modrica, Bihac und viele, deren Namen wir nicht kennen.
In Bosnien starben 200.000 Menschen. Sie starben, obwohl sie unbewaffnet waren, denn sie wollten keinen Krieg. Bosnien setzte darauf, daß die moralische Kraft des Unbewaffnetseins die Menschen würde schützen können, niemand hielt es für möglich, daß jede zivilisatorische Hemmung dem Machterhalt und Wahn der serbischen Soldateska geopfert würde. Europa verhandelte, die UNO verhandelte, die Kontaktgruppe verhandelte unter Einschluß von Rußland – derweil starben die Menschen in Bosnien unter den Augen der Beschützer der UNO. Leidlich geschützt waren die Menschen in Bosnien nur an den Orten, an denen die bosnische Armee die Tchetniks aufhalten konnte. Der Krieg endete erst, nachdem die Nato aus der Luft die Logistik der Tchetniks empfindlich getroffen hatte und die kroatische und bosnische Armee am Boden die serbischen Soldaten zurückzudrängen begannen. Und wieder gab es Vertreibungen, Kroatien vertrieb die serbische Bevölkerung aus der Kraina.
Dayton teilte das Land Bosnien. Dayton akzeptierte den Drahtzieher des großen Mordens als Verhandlungspartner. Dayton sparte den Kosovo aus, obwohl dort die Lunte schon brannte. Mord, Folter und Vertreibung wurden auch im Kosovo sorgsam geplant. Das Massaker von Racak geschah unter den Augen der OSZE. Das Massaker von Orahovac wird bis zum heutigen Tag verdrängt, es werden wohl mehr als 700 Opfer einer gezielten Ermordung gewesen sein. Derweil wurde verhandelt. Rambouillet war ein diplomatisches Ringen um den Verzicht auf Gegengewalt. Aber der Mörder Milosevic wollte nicht aufgehalten werden.
Wo lag noch eine nicht ausgereizte Chance für das Verhandeln? Wie konnte verhindert werden, daß wie in Bosnien unter dem Deckmantel der diplomatischen Initiativen das Säubern des Landes von Tag zu Tag weiter perfektioniert wurde?
Es ist wahr: Das Völkerrecht kennt jenseits von UNO-Beschlüssen keine Möglichkeit, einen Völkermord in den Grenzen eines souveränen Staates zu verhindern. Aber was ist die moralische Legitimität einer UNO noch wert, in der einzelne Mitglieder des Sicherheitsrates die Verhinderung eines Völkermordes aus Großmachtinteressen abwehren können? Es ist wahr, die Nato-Schläge haben Mord und Vertreibung bisher nicht verhindern können. Aber wo liegt die Alternative? Müssen wir am Ende dieses Jahrhunderts mit Entsetzen feststellen, daß Völkermorde hinzunehmen sind?
Unsere politische Generation hat die Eltern angeklagt, denn viele waren Mitläufer, Wegseher oder Täter. Das wollten wir nie wieder sein. Doch wer sagt uns, daß die Konsequenz aus dem deutschen Faschismus der fundamentale Pazifismus sein kann – mußten Polen, Rußland, England und die anderen Staaten sich nicht mit Waffengewalt verteidigen? Mußten Birkenau, Buchenwald, mußte Auschwitz nicht mit Waffengewalt freigekämpft werden? Kamen die Truppen nicht viel zu spät?
Hat unsere Generation als Täter-Kinder nicht die Pflicht dafür zu sorgen, daß von dem Boden unseres Landes nie wieder Aggression ausgeht, aber auch die Pflicht, sich schützend vor die zu stellen, die vernichtet werden sollen?
Auschwitz wird nicht wiederkommen – es wird keine Gaskammern mehr geben. Der Völkermord des zu Ende gehenden 20sten Jahrhunderts hat ein anderes Gesicht. Seine Täter sind nicht minder entschlossen.
Nie wieder Krieg – nie wieder Auschwitz. Beide Grundsätze werden für das Europa mit einem völkermordenden Milosevic zu einem Widerspruch. Diesem Widerspruch kann unsere Generation nicht ausweichen.
Marieluise Beck
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