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Gastkommentar zur WahlChristdemokratische Sozialdemokraten?

■ SPD und CDU haben ihre Funktion als politische Parteien in Bremen verloren

Auf die Preisfrage, den Unterschied zwischen SPD und CDU zu benennen, können Bremer nur mit den Schultern zucken. Es gibt keinen. Selbst die Grünen kreisen inzwischen mit im Mahlstrom des Bremer Einerleis und wissen keine andere Alternative als das Angebot, auch ihrerseits mitzumachen. Die ehrlichsten Großplakate für den jetzigen Wahlkampf hätte die vereinigte Rathausliste der christdemokratischen Sozialdemokraten aufstellen können, und die Grünen hätten sicherlich geschmollt, daß Helga Trüpel nicht mit auf dem Plakat sei.

Die vollständige Entpolitisierung Bremens zu bejammern, ist jedoch wenig hilfreich. SPD und CDU haben ihre Funktion als politische Parteien verloren. In Bremen wird besonders deutlich, daß die Parteien nur noch dazu da sind, das politische Establishment personell hervorzubringen. Diese inhaltliche Funktionslosigkeit prägt das Gesicht der Parteien. Es ist kein Zufall, wenn Christian Weber, der Fraktionsvorsitzende der SPD, von seiner Partei als einem harmonischen „Haufen“ spricht. Ein Haufen ist eine unstrukturierte Ansammlung, die nur durch ihre diffuse Masse wirkt.

Gänzlich falsch wäre es aber, dies einzelnen Personen anzulasten – etwa Henning Scherf. Die SPD oder auch Bremen hat das Glück, mit ihm den denkbar vollkommensten Repräsentanten für diese Verhältnisse zu besitzen. Scherf versteht es meisterhaft, die Leere der bremischen Politik zu kaschieren. Durch ihn wird die Gefahr vermieden, daß durch Hohlköpfe das entpolitisierte System vollends diskreditiert wird.

Der Grund für diesen Zustand liegt in der Wahnsinnsschuldenlast, die auf Bremen lastet und immer noch gewachsen ist. An die Zahl von etwa 20 Milliarden Mark haben sich inzwischen alle gewöhnt. Man muß schon mit spektakulären Vergleichen kommen: Die Auslandsschulden des wirtschaftlich zerrütteten Jugoslawiens etwa betrugen vor dem NATO-Angriff 18 Milliarden Dollar. Der Winzling von der Weser trägt mehr als die Hälfte. Helfen könnte nur ein Wunder von außen. Ob Scherf und Perschau daran glauben? Oder igeln sie sich fatalistisch ein mit immer größerer Distanz zur Wirklichkeit? Eine Repolitisierung verlangte, diese Inselmentalität zu durchbrechen.

Offensichtlich wagt das keiner. Alle Welt applaudiert im Augenblick Hans Eichel für seine Ankündigung härtester Sparjahre. Weiß Bremen, was das bedeutet? Zwar hören wir gelegentlich Kassandrarufe, die andeuten, ohne Konsolidierung der Staatsfinanzen sähe Bremens Zukunft als selbständiges Bundesland düster aus. Und auch das endgültige Ende aller zusätzlichen Bundeshilfe wird konstatiert. Aber niemand sagt, zu welchen Konsequenzen das führen müßte. Selbst wenn der kommende Wirklichkeitsschock Bremen erschüttert, wird die gegenwärtige und zukünftige Regierung keinen Ausweg wissen. Sie hat längst vergessen, was Politik ist. Horst-Werner Franke,

Senator a.D.

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