Gastkommentar politischer Streik: Ein Recht will erkämpft werden
Der politische Streik würde eine Art Waffengleichheit herstellen: Dem Druck der Neoliberalen stünde dann ein wirksamer Gegendruck gegenüber.
D er politische Streik gehört zu Europas politischer Kultur. Neben Deutschland ist er nur noch in Dänemark und England verboten. Alle drei Länder verstoßen somit gegen die Europäische Sozialrechts-Charta. Was aber in Frankreich, Belgien oder Spanien akzeptiert ist, muss auch in Deutschland möglich sein. Niemand dort käme auf die Idee, dass mit dem politischen Streik die freie Ausübung des Mandats eingeschränkt würde, wie Micha Brumlik dies kürzlich in der taz (vom 2. 2.) befürchtete.
Schon vor über 150 Jahren merkte der liberale Philosoph und Ökonom John Stuart Mill kritisch an, ist "das Volk, welches die Macht ausübt, nicht immer dasselbe Volk wie das, über welches sie ausgeübt wird". Wenn die Rente mit 67, der Krieg in Afghanistan oder die Hartz-Gesetze in Parlamenten gegen eine breite Bevölkerungsmehrheit durchgesetzt werden, dann könnte der politische Streik im besten Fall als Korrektiv wirken.
Der politische Streik würde eine Art Waffengleichheit herstellen: Dem Druck der Lobbyisten, neoliberaler Kampagnenmacher und Großspender auf Regierungsparteien stünde dann ein wirksamer Gegendruck gegenüber. Wie wichtig das auch für linke Regierungen ist, zeigt dieser Tage ein Blick nach Griechenland.
Klaus Ernst ist designierter Vorsitzender der Linkspartei.
Fakt aber ist auch: Das Recht auf politischen Streik wird nicht beschlossen, sondern erkämpft. Erst wenn das Beispiel der Arbeiter der Münchner "Süddeutschen Druckerei" Schule macht, die wie Zehntausende ihrer Kollegen 2007 während der Arbeitszeit gegen die Rente ab 67 protestierten, wird der politische Streik auch in Deutschland Normalität. Wenn aber Menschen für ihre Interessen eintreten, dann ist es nicht an wohlbestallten Professoren und Politikern, ihnen dieses Recht abzusprechen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste