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Gar nichts klappt in Göttingen

Hochprofessionell agiert das Ensemble des Deutschen Theaters in der britischen Spiel-im-Spiel-im-Spiel-Komödie „Dieses Stück geht schief“. Das führt direkt ins Chaos und kommt dabei ohne irgendein Interesse an den Figuren und ohne jeden Überbau aus

Derb: Die ehemals zukünftige Gattin des Mordopfers wird rausgeworfen Foto: Thomas Aurin/DTG

Von Jens Fischer

Sie wollen Spaß. Und spielen beruflich Theater. Warum also nicht dort einfach mal was total Verrücktes machen – mit minutiöser Präzision. Die anarchische Freiheit der Komik feiern, indem man sich genau an die Regeln hält, nach denen Jux und Dollerei das Schmunzeln, Kichern, Brüllen des Publikums hervorkitzeln und ein Gefühl der Lebensleichtigkeit erregen können. Solch hochkomplizierte Kunst spendiert das Deutsche Theater Göttingen jetzt zum Saisonfinale. „The play that goes wrong“ lautet das programmatisch betitelte Stück von Henry Lewis, Jonathan Sayer und Henry Shields, das 2012 in einem Londoner Theaterpub uraufgeführt, für eine Tournee ausgearbeitet und dann ins ­Duchess Theatre im West End einquartiert wurde, wo es bis heute läuft.

Das Publikum ist bereits vollständig platziert, der Bühnenaufbau noch in vollem Gange. Egal! Daniel Mühe springt als eitler Chef der „Theatergruppe des Max-Planck-Instituts“ auf die Bühne, kündigt Beifall heischend sein Regiedebüt an, bei dem er in aller Bescheidenheit auch gleich die Hauptrolle übernommen hat. Ein Mord auf Schloss Haversham soll in plüschiger Agatha-Christie-Nostalgie aufgeklärt werden – Ebene 1 des Stücks – vom enthusiastischen Laienensemble, das für Handlungsebene 2 immer wieder aus der Rolle fällt. Auf Level 3 haben Göttingens hochprofessionelle Dar­stel­le­r:in­nen großes Vergnügen daran, unter lächerlich machenden Perücken betont schlechte Dialoge besonders schlecht zu spielen.

Sie drängeln und stolpern grimassierend an die Rampe, biedern sich klimper-klimper mit den Eitelkeiten ihrer Figuren dem Publikum an, ornamentieren jeden Halbsatz mit überdimensionierten Gesten, betonen Worte falsch, artikulieren pathosfett, kokettieren mit den Spotlights, verpatzen Einsätze, vergessen Text oder verheddern sich in ihm. Gern genutzte Schemata der theatralen Pointen-Manufaktur sind die Widersprüche von Wunsch und Wirklichkeit des Stückpersonals sowie von Wort und Bild. Sagt der Inspektor zum Diener: „Stehen sie nicht so herum“ – während der Angesprochene auf der Bühne sitzt.

Regisseurin Katharina Birch setzt aufs Lachen übers Scheitern. Wenn auch nicht so existenziell wie bei Samuel Beckett, sondern eher schadenfreudig wie im Comedy-Genre. Wenn zu Beginn der Leichendarsteller seine Position im Bühnendunkel einnehmen will, geht das Licht exakt zu früh an, er schmeißt sich tot stellend zu Boden. Lustiger Einstieg. Da der Kaminsims heruntergefallen ist, muss die Inspizientin dort platzierte Objekte hochhalten. Sehr lustig. Musikeinsätze kommen punktgenau falsch oder albern dramatisch. Auch lustig.

Schauspiel „Dieses Stück geht schief“, Deutsches Theater Göttingen. Weitere Aufführungen am 18., 20., 21., 24., 25., 26., 27. und 30. 6. sowie am 2. und 4. 7. jeweils um 19.45 Uhr und am 29. 6. um 15 Uhr

Requisiten liegen stets akkurat am falschen Platz, so dass beispielsweise statt Stift und Notizbuch nur Schlüsselbund und Blumenvase zu greifen sind und dann mit dem einen auf der anderen „schreiben“ gespielt wird. Lustig – wie auch das Wörtlichnehmen: Sagt einer, das Mordmotiv liege doch auf der Hand – und blickt dabei auf seine aufgeklappten Handflächen. Geht eine Tür auf, steht zentimetergenau die mit Blondieperücke, Glitzer und Pelz auf mondän getrimmte ex-zukünftige Gattin des Toten dahinter, liegt anschließend schweigend k. o. am Boden, wird aber weiter angespielt, „höre auf mit dem Geschrei“, und schließlich mit Slapstick-Akrobatik aus der Szene geworfen. Derb lustig. Anschließend übernimmt die ­Inspizientin (Stella Maria Köb) die Rolle – zunehmend rampensäuisch. Hinreißend lustig.

Am Ende ist das Stück zerstört, die Kulissen sind kollabiert, aber alle weiter um Haltung bemüht

Das sind nur wenige Beispiele für die dramatische Umsetzung von Murphy‘s Law. Gefühlt alle zehn Sekunden geht irgendetwas schief und schiefer. Der Abend läuft in dieser dramaturgischen Monotonie so rasant wie formvollendet aus der Form. Am Ende ist das Stück zerstört, die Kulissen sind kollabiert, aber alle weiter um Haltung dabei bemüht, Fehler und Missgeschicke zu überspielen. Das erinnert an das Theaterspiel der überzeugend dilettantischen Handwerkertruppe in Shakespeares „Sommernachtstraum“. Die volltrotteligen Bühnenpraktiker können verspottet, aber auch als leidenschaftliche Theaterliebhaber inszeniert werden.

Im Gegensatz dazu sucht die Göttinger Inszenierung nicht nach Menschen hinter den Witzfiguren. Das Ensemble agiert äußerlich virtuos, innerlich eher (selbst-)ironisch. Daher ist es schwer, beim chronischen Scheitern mitzuleiden und beim heldenhaften Weitermachen mitzufiebern. Was möglich gewesen wäre, zeigt ein Loop, in dem das Ensemble feststeckt und eine Szene immer wieder neu und immer genervter, schließlich hilflos eskalieren lässt. Es steigert sich also das Spiel ins Chaos hinein, es gibt also eine intensive Entwicklungsdynamik, nicht nur eine Aneinanderreihung von teilweise irrwitzig komischen Pannen. Dabei wird in Göttingen auf jedweden Überbau und doppelten Boden verzichtet. Selbst die Mördersuche ist allein Mittel zum Spaßzweck. Was allerdings bestens funktioniert.

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