: Ganz schön laienhaft
■ Berliner „Spätzünder„innen im Bürgerhaus Vahr: „Aber wir doch nicht“
Laienspiel ist inzwischen ein Schimpfwort. Wenn man die neun aufgeräumten 60-bis 80-jährigen Frauen vom „Spätzünder“ erlebt hat, weiß man ab sofort nicht mehr, warum eigentlich. Das ist deutlich Laientheater. Es entsteht sehr selten aus gutgemeinter Unbeholfenheit, durchweg aus ansteckender Spiel - und Parodierlust, und wenn's am schönsten ist, aus liebevoller Parodie des eigenen Ichs, in diesem Fall eines weiblichen.
Denn alle kommen sie unten in den kleinen Laden, mal schnell Zigaretten und 'ne Zeitschrift holen. Und die lebenslustigste Berliner Kodderschauze tänzelt in geblümter Fülle und auf Stöckel
schuhen herein, um einen Sekt für ihren Neuesten zu holen. Aber eigentlich ist da unten bei der Ladenfrau und ihrer illustriertenweltbesessenen Kusine das Klatschzentrum. Ganz harmlos werden da Gerüchte gegen Emmi Krüger, die der klatschenden Mehrheit im Hause den Anschluß verweigert, erfunden und gebündelt.
Bis, was so nett und harmlos begann, zur „raus mit„-Stärke anschwillt. Die Hauptklatscherinnen, übrigens in Trevirafaltenrock und im kleinen Gehäkelten in rose die Biederkeiten in Person, schreiben schließlich einen Brief an die Kirche, der Emmi Krüger ins Heim bringen soll. Auch „raus
aus“ ihrer viel zu großen Wohnung, die dann für die Rosabehäkelte frei wäre. Dann taucht die vornehme Amerikanerin auf. Sie entpuppt sich als Jüdin, die Emmi Krüger 1942 im Kohlenkeller vor dem Lager rettete, und die rabiateste Hetzerin von heute entpuppt sich als die Hauptschnüfflerin aus der fraglichen Zeit, als sie noch BDM -Rock trug und ihren NS-Hauswartvater unterstützte..
Nun waren auf einmal immer schon alle für Emmi Krüger. Nur, die dumme Illustriertenkusine aus der Provinz staunt über die plötzlichen Verwandlungen. Diese dumme Kusine ist überhaupt ein Schmuckstück in Rolle und Darstellung. Die genau-wie-
Lady-Di-Doofe ist nämlich zugleich die einzige, aus der hartnäckig immer wieder die Wahrheit plappert.
1980 auf eine Zeitungsanzeige hin zusammengekommen, fertigen die Spätzünderinnen die Rollen, die sie spielen, selber an. Durch Improvisation entstehen die Szenen ihrer Stücke, mittlerweile vier. Eine (junge) Spielleiterin paßt auf, daß sie nicht zu üppig wuchern. Voila tout. Außerdem ist dieses Theater, wie auch die folgende Diskussion erwies, ein ausgesprochener Jungbrunnen. Für ein ähnliches Experiment in Bremen gibt es bereits 60 Anmeldungen. Wir werden berichten.
Uta Stolle
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