■ QUERBILD: Ganz oder gar nicht
Aus Großbritannien kommen immer wieder Komödien zu Besuch, die ihre Geschichten vor dem Hintergrund von Arbeitslosigkeit und sozialer Depression entfalten. Nicht selten laufen deren milde und meistens grundsympathische Durchhalteparolen darauf hinaus, daß selbst im erbarmungslosesten Kapitalismus die Würde ein unveräußerliches Gut ist. Die politische Ebene etwas mehr im Hintergrund, gilt dieser Entwurf auf vertracktere Weise auch für Ganz oder gar nicht von Peter Cattaneo. Die zentrale Idee: Eine Stripshow soll einer äußerst heterogenen und gänzlich unglamourösen Gruppe von arbeitslosen Männern die Existenz sichern. Darin verbirgt sich eine bezwingende Metapher: Bevor dir das letzte Hemd vom Leib gerissen wird, zieh' es lieber selbst aus und kassier' noch dafür. Doch auch auf andere Weise überrascht die intelligente Konstruktion von Ganz oder gar nicht. Die Protagonisten erfahren ihre Arbeitslosigkeit nicht nur als persönlichen Mißerfolg, sondern auch als Entmannung. Impotenz, gescheiterte Ehe bis hin zu Selbstmordabsichten sind die Konsequenzen. Ganz klar: Den Frauen fehlt der ganze Mann. Was die Männer aber (noch) nicht wissen. Nicht Erfolg, sondern Hoffnung ist gefragt. Der große Erfolg der Chippendales, einer US-Männerstripshow, verstärkt die Demütigung, weckt aber auch Kampfgeist. Nun ist zumal mit ramponiertem Selbstbewußtsein schwer anstinken gegen die Traumkörper der US-Boys. Während die Chippendales mit kühler Professionalität künstliche Träume verscherbeln, haben die Helden Echtheit zu bieten. Indem sie sich im Ganzen präsentieren, schließen sie genau die Lücke, die sie zuvor selbst gerissen haben. Was hier so gradlinig klingt, gestaltet sich im Film natürlich viel schwieriger. Bevor nämlich die Würde zurückgewonnen wird, muß sie erst mit der Kleidung über Bord geworfen werden. Das führt zu einer Fülle urkomischer Situationen, deren Peinlichkeit in der Selbstironie und der Trotzigkeit der Protagonisten perfekt aufgeht. Und diese Selbstironie verhindert auch den Sexismus, der der Gleichung nichtentfremdete Arbeit – nichtentfremdete Sexualität – glückliche Frauen natürlich innewohnt.
Sven Sonne
siehe Filmübersicht
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