■ Polizei und Menschenwürde: Ganz oben versagt
Es gibt Geschichten, die man kaum glauben mag, wären die Beweise nicht so erdrückend. Zu dieser Art von Schilderung gehört seit gestern der Bericht eines vor zwölf Tagen pensionierten Oberkommissars. Da haben vier Jahre lang seine Kollegen Abschiebehäftlinge absichtlich in Lumpen gesteckt, und die Polizeiführung war trotz seiner Beschwerde nicht bereit, den Mißstand abzustellen. Statt dessen ging die Behörde gegen den Beamten disziplinarrechtlich vor. Gegen einen Richter, der sich beschwerte, wurde sogar ein Ermittlungsverfahren wegen angeblicher Rechtsbeugung eröffnet.
Bislang behauptete das Präsidium am Tempelhofer Damm, von Mißhandlungen durch Polizisten so spät zu erfahren, daß es die konkreten Übergriffe nicht hätte verhindern können. Seit gestern ist aber klar, daß die Polizeiführung zumindest in diesem Fall über lange Zeit Bescheid wußte und die Mißhandlung von Rumänen hätte abstellen können. Doch statt dessen ließen Senator und Polizeipräsident unter ihren Augen und mit ihrem besonderen Schutz Polizisten das menschenverachtende Geschäft fortsetzen. Damit hat die Ausländerfeindlichkeit der Polizei in Berlin eine neue Stufe erreicht. Daß ausgerechnet auch noch Polizeivizepräsident Schenk Fotos des erniedrigenden Umgangs mit Ausländern zur Kenntnis nahm, aber die Praxis lumpenartiger Bekleidung rechtfertigte, ist ein Höhepunkt an Enttäuschung, galt der Sozialdemokrat unter Innensenator Heckelmann doch als moralisches Korrektiv.
Amnesty international hatte im vergangenen Jahr behauptet, die Zahl mutmaßlicher Mißhandlungen durch die Polizei in Berlin sei im Vergleich zur Bundesrepublik überproportional und beunruhigend hoch. In zwei Jahren wurden der Menschenrechtsorganisation aus der Hauptstadt 70 glaubwürdige Vorfälle gemeldet. Innensenator und Polizeipräsident stellten sich dennoch immer schützend vor ihre Untergebenen, widersprachen der These einer grundsätzlich ausländerfeindlichen Polizei und bemühten die Formel von den „einzelnen schwarzen Schafen“. In der Vergangenheit gab es bereits deutliche Indizien dafür, daß die politische Spitze Probleme voreilig und zu leichtfertig relativiert. Seit gestern aber muß sich nun die Führung selbst zu jenen schwarzen Schafen zählen, für die Menschenwürde ein Fremdwort ist. Dirk Wildt
Siehe Seite 4 und 26
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