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Ganz normale Rechte

Wenn „The Länd“ wirklich die fortschrittliche Weltregion wäre, als die es sich ausgibt, würde Stuttgart mit gutem Beispiel vorangehen und die rechten „Spaziergänge“ verbieten. Dazu fehlen Stadt und Ländlords aber Einsicht und Eier.

Von Elena Wolf↓

Zwei Jahre Corona und kein Ende in Sicht. Die ganze verkorkste Pandemiebekämpfung und ihre Folgen für jeden Bereich des Lebens kotzen nur noch an. Bis dahin sind sich in Deutschland wahrscheinlich alle einig: Der Wahnsinn muss aufhören! Aber dann geht’s los. Wenn die Schuld- und Soll-Fragen zur Lage der Nation aufkommen, drehen wir auch schon die erste Runde auf dem wahrscheinlich verrücktesten Scheißerodeo eines geistigen Volksfestes, das sich neuerdings „Spaziergänge“ nennt und die klassische „Querdenken“-Demo abgelöst hat. Den unzähligen Flyern und Mobilmachungen zur Folge, die alle auf Telegram-Kanälen wie „Stuttgart Grundgesetzdemos“ (12.000 Abonnenten) kursieren, sind die meist unangemeldeten Versammlungen einfach nur Liebes­bekundungen für „Frieden“,“Freiheit“, „Menschenrechte“, „Selbstbestimmung“ und natürlich die lieben Kinderlein. Wenn die nicht gerade als menschliche Schutzschilde gegen die Polizei missbraucht werden, dann müssen sie vor der „Todesspritze“, dem „Rattengift“ oder der „Gen-Therapie“ einer kommunistischen Weltverschwörung geschützt werden.

Und der „Mitte“-Trick mit den falschen Etiketten zieht: The mighty „Länd“ lässt die Spaziergänge zu und führt seine Oberhäupter damit im besten Fall als naive Dorftrottel, im schlimmsten Fall als Unterstützer rechter Umtriebe vor. In Baden-Württemberg gab es montagabends bereits landesweit bis zu 170 meist unangemeldete Corona-Protestaktionen oder sogenannte „Montagsspaziergänge“ mit zusammen über 50.000 Beteiligten. Innenminister Strobl (CDU) ist der Ansicht, konsequent genug zu handeln und die Szenerie genau zu beobachten. Alles im Griff. Die Polizei sei „gut vorbereitet“ und achte darauf, „dass Gesetze und Regeln eingehalten werden“. Dabei gibt es nicht mehr zu „beobachten“, als das, was vor Strobls Augen passiert. Das Problem ist nur, dass das Problem nicht als Problem gesehen wird: Die pseudo-liberalen Spaziergänge sind Veranstaltungen von Rechtsextremen.

Das sieht auch Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) nicht, der sich untypisch im Hintergrund hält angesichts der massen­wirksamen Veranstaltungen. Hinter nicht vorgehaltener Hand wird bereits gemunkelt, dass er die Angelegenheit mit den rechten Aufmärschen nur deswegen nicht zur „Chefsache“ erkläre, weil es dort kein Bierfass anzustechen gibt. Wahrscheinlicher ist jedoch die Tatsache, dass auch Nopper keinen Plan hat, wer da in seiner Stadt mobil macht, das Märchen von den „ganz normalen Leuten“ glaubt und erst dann wieder aus der Deckung kommt, wenn es irgendwo einen Regenbogen zu malen gibt und ein paar Kameras bereitstehen.

Freiheit, Liebe, Grundgesetz

Denn eines hat die „Querdenken“-Blase des Grauens, aus der jetzt die „Spaziergänge“ hervorgehen, tatsächlich kapiert: Wenn sich ein Haufen Menschen­feinde schöne, bunte Sachen auf die Banner schreibt, dann ist er ein ganz schön bunter Haufen. Dann braucht man als „ganz normale Leute“ aus der sogenannten „Mitte der Gesellschaft“, die die Follower von „Stuttgart Grundgesetzdemos“ sein wollen, auch überhaupt kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn man Neonazis und Rechtsradikalen die Hände reicht.

Wenn „ganz normale Leute“ verbreiten, dass man „nicht ohne Kampf in den Tod“ gehen, sondern sich „endlich wehren“ soll, weil „unsere Regierung von einer Mafia gekapert wurde“, dass das Impfschutzgesetz faschistisch sei, ja dann kann man als Demokratie-Fan auch Likes für AfD-Plakate, Hetze gegen Flüchtlinge, wilde Ver sönlich empfundene Version von Freiheit über die Freiheit aller zu stellen.

Dabei braucht eigentlich niemand mehr Texte darüber zu schreiben, wie dicht die Verstrickungen der (Post-)„Querdenken“-Bewegung der „Spaziergänge“ in rechtsradikale und antidemokratische, gesellschaftszersetzende Kreise sind. Wie abgefuckt der ganze kranke Bullshit ist, der aus diesen braunen Sümpfen kommt. Es ist alles da. Wirklich alles. Seit Beginn der Pandemie wurden unzählige Texte und Bücher geschrieben, Reportagen, Inter­views und Dokumentationen gefilmt, die immer und wieder gezeigt haben, dass selbst der Motor der grünen Bio-Bohème aus dem Anthroposophie-Umfeld ein menschenfeindliches antisemitisches, sozial­darwinistisches, schlichtweg granatenmäßig asoziales (spart euch die „Nazi­keule“, liebe QuerleserInnen, die gehört uns Linken, haha) Weltbild ist.

Krasser Twist: Die Schafe sind erwacht

Nachdem die „Querdenken“-Ursuppe um Michael Ballweg tatsächlich noch ­rela­tiv heterogen war und es geschulte ­Augen brauchte, um die personellen Verstrickungen mit Rechten klar zu erkennen, ist nach über zwei Jahren Pandemie bekannt: Die ständige, mantra­artige Selbstzuschreibung der „bürgerlichen Mitte“ auf den aktuellen Corona-Demos und in den Untiefen zahlreicher Telegram-Kanäle, ist nichts anderes als ein psychologisches Schutzschild, um sich vor der schmerzhaften Einsicht zu schützen, rechte Poli­tik zu unterstützen, während die Rede von „den ganz normalen Leuten aus der Mitte des Volkes“ für rechte AkteurInnen ein wirksames Propaganda-Tool ist, um rechte Politik in den Köpfen von politisch ungebildeten oder uninteressierten Menschen zu normalisieren und damit gesellschaftsfähig zu machen.

Wer sich mal mit der Neuen Rechten beschäftigt hat, mal in die rechte Bravo „Compact“ geschaut hat, sich vielleicht sogar mal mit dem neurechten „Institut für Staatspolitik“ auseinandergesetzt hat, weiß, dass die Normalisierung rechter Positionen Teil des rechten Kulturkampfes ist, der zum Ziel hat, rechte Weltbilder hegemonial zu verankern, gesellschaftlich zu normalisieren, um sie dann – wie mit der AfD bereits geschehen – parlamentarisch zu legitimieren. Die, die sich für clevere „Erwachte“ halten, die glauben, im Gegensatz zu den „Schlafschafen“ durchschaut zu haben, was Phase ist, sind in Wirklichkeit genau die Schafe, die sie nicht sein wollen – oder eben überzeugte Rechtsradikale.

Um den Rutsch nach ganz rechts für Mittemenschen weicher zu gestalten, klauen die Veranstalter und Chatgruppen-Admins daher strategisch linke Diskurse, packen „Liebe“, „Freiheit“, „Menschenrechte“ als Chiffren für Hass und Hetze auf ihre Posts, framen politisch nicht so bewanderte Follower mit gesellschaftlich anerkannten, linken (!) Widerstandsfiguren wie Anne Frank, Sophie Scholl, Rosa Luxemburg, Bertolt Brecht und spülen ganz nebenbei immer wieder Inhalte von rechtsradikalen Gruppen wie „Der Dritte Weg“, „Freies Sachsen“ und Figuren wie Martin Sellner (Identitäre Bewegung) oder Ignaz Bearth in die Kanäle.

Die Vereinnahmung linker Widerstandsikonen ist für diese Strategie notwendig – weil aus der rechten Ecke noch nie irgendetwas Gutes gekommen ist! Weil sich mit Ernst Jünger, Carl Schmitt und anderem Heldenpersonal der Rechten keine Menschenliebe propagieren lässt! Weil selbst der Faschonachwuchs von der Identitären Bewegung linke Ästhetik klaut und versucht, Marxisten wie Anto­nio Gramsci samt Hegemoniediskurs für sich zu instrumentalisieren. Was für ein trauriger Witz! Ohne Scheiß: Jüngst twitterte die AfD-Bundestagsabgeordnete ­Joana Cotar ein Zitat von Kurt Tucholsky, um auch hier wieder linke Größen und Zitate für rechten Verschwörungswahn zu missbrauchen: „Nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu einer Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein!“ Das ist nicht nur zynisch. Es ist berechnet.

Muss man ganz klar sagen: Wer sich an den aktuellen „Spaziergängen“ beteiligt und behauptet, aus der friedlichen „Mitte der Gesellschaft“ zu kommen, der lügt, ist rechtsoffen oder politisch grauenhaft unterbelichtet. Das ist einfach Fakt. Und es ist auch keine „Hetze“ genau das immer und immer wieder zu sagen – ein weiterer genialer Trick von Rechten: spalten und hetzen und die Spaltung und Hetze dann Linken und Menschen in die Schuhe zu schieben, die die Mechanismen und ­Strategien von rechter Spaltung und Hetze bis ins Detail immer wieder durch­deklinieren. Doch radikale Selbsteinsicht schmerzt und wird auch von konservativen politischen Kräften tunlichst versucht zu unterbinden, um die „bürgerliche Mitte“ weiter für sich zu nutzen. Ehrlich anzuerkennen, dass die „Mitte der Gesellschaft“ rechtsversifft ist, wäre für Konserven wie Strobl oder Nopper politischer Selbstmord. Also drehen sie weiter ihre Runden und ließen die „Spaziergänger“ auch am vergangenen Mittwoch wieder durch Stuttgart ziehen.

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