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Ganz Brüssel liegt im DDR-Rausch

Auch die anderen EG-Regierungen wollen von dem unverhofften Landgewinn profitieren / Lohnt sich DDR-Hilfsprogramm überhaupt noch?  ■  Aus Brüssel Michael Fischer

Die Droge DDR berauscht in diesen Tagen EurokratInnen, Europa-ParlamentarierInnen und EG-Regierungschefs gleichermaßen. Ein Wust von Arbeitsgruppen in Brüssel versucht, der ungewohnten Herausforderung Herr zu werden. Höhepunkt der Konferenzhektik wird der Sondergipfel im April in Dublin sein, wo die zwölf EG-Chefs sich an dem unverhofften Landgewinn laben werden. Schon vorher wollen die nichtdeutschen EG-Regierungen jedoch sicherstellen, daß auch sie von der deutschen Einheit profitieren.

Deshalb handeln die EurokratInnen zur Zeit im Schnellverfahren ein Handels- und Kooperationsabkommen mit der noch existierenden DDR-Regierung aus. In der EG -Kommission hofft man, den Vertrag noch vor den Wahlen in der DDR über die Bühne zu bringen. Andererseits diskutierten am Freitag VertreterInnen der „Gruppe der 24“ - der 12 EG -Staaten sowie 12 weiterer westlicher Länder wie der USA und Japan - über die Frage, ob es sich überhaupt noch lohnt, die DDR in ihr Hilfsprogramm aufzunehmen. Die DDR-Regierung hatte diese Woche den Antrag gestellt, neben Jugoslawien, Bulgarien, Rumänien und der CSSR an der bislang auf Polen und Ungarn beschränkten Hilfsaktion teilzunehmen. Da jedoch inzwischen davon ausgegangen wird, daß die DDR nach einem Anschluß an die BRD der EG angegliedert wird, wollen die 24 frühestens im März über den Antrag der DDR entscheiden. Das ist auch der Zeitpunkt, zu dem das am Donnerstag ins Leben gerufene DDR-Komitee des Parlaments unter dem Vorsitz des Sozialisten Allan J. Donnelly seine Arbeit aufnehmen wird.

Der EG-Einpeitscher Delors hatte zwar schon Ende November vorausgesehen, was jetzt auf der Tagesordnung steht - der Einzug der DDR in die EG. Doch haben sich inzwischen die Voraussetzungen geändert. Damals wollte der Euro-Stratege mit dem Vorschlag des baldigen Beitritts einer unabhängigen DDR in die EG die Wiedervereinigung hinauszögern. Heute bleibt ihm nur noch die Warnung, daß eine Vereinigung der beiden deutschen Staaten „nicht nur Sache der Deutschen“ sei. Vielmehr brächte eine solche Angliederung der DDR an die EG eine Unmenge von Problemen mit sich, die ein langsames Vorgehen nötig mache. Zur Vorbereitung dieses Schritts richtete die Kommission letzte Woche eine Arbeitsgruppe ein, an der unter dem Vorsitz des für den Binnenmarkt zuständigen Kommissars Martin Bangemann alle betroffenen Abteilungen mitarbeiten. In erster Linie geht es dabei um die Lösung wirtschaftlicher, rechtlicher und institutioneller Probleme. Vor allem die Anpassung des DDR -Rechts an EG-Recht stellt die Kommissionsexperten unter Dauerspannung. Und die 81 bundesdeutschen Euro -ParlamentarierInnen sorgen sich schon darum, wer zugunsten der etwa 17 Newcomer aus der DDR seinen Platz räumen muß.

In der Arbeitsgruppe geht es aber auch darum, den deutsch -deutschen Einigungsprozeß zumindest ein Stück weit von Brüssel aus beeinflussen zu können. Deswegen wurde auch der Vorschlag einer Vorverlegung der EG-Regierungskonferenz der irischen Regierung, die zur Zeit den Vorsitz im EG -Ministerrat führt, und der italienischen Regierung, die ab Juli das höchste Gremium der EG anführen wird, von den meisten Regierungen positiv aufgenommen. Statt erst Ende des Jahres sollen die für die EG-Währungsunion nötigen Änderungen der Römischen Gründungsverträge der EG nun schon im Juli beschlossen werden. Zwar sind Kohl und Thatcher gegen eine solche Beschleunigung der EG-Integration parallel zur deutsch-deutschen Eingliederung. Dennoch sind die EurokratInnen optimistisch. Schließlich hat sich die britische Regierungschefin in letzter Zeit mit ihrer Kritik relativ zurückgehalten. Und Kohl, so wird vermutet, wird sich längerfristig eine ablehnende Haltung nicht leisten können, wenn er das schon bestehende Mißtrauen der Nachbarn nicht weiter anheizen will.

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