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berliner szenenGans aus Versehen doppelt

Ich fahr meine Schwester besuchen, und weil Weihnachten ist und, weil ich ihr vor ein paar Wochen zum Geburtstag grad mal ’ne SMS geschenkt hab, und das auch noch kurz vor Mitternacht, bring ich ihr ein Geschenk. Ich hab’s auch schon bestellt: ein Buch, das ich selbst voll mag, und außerdem ist es eins mit „Gans“ im Titel. Und das passt doch super, weil sie mir ’ne Gans auf den Teller packen wird, wenn ich komme, dann haben wir zwei Gänse. Perfekt!

Nur dann fällt mir ein, dass meine Gans, also das Buch, schon ziemlich kurz ist. Das hat sie in zehn Minuten durch, weil viele Bilder, kaum Text. Und das ist doch irgendwie blöd, wenn das Buch, das ich bring, weniger lang hält als das Essen, das sie kocht. Und sowieso: ein Kinderbuch? Was soll sie denn damit? Ich glaub, ich hab das Buch eigentlich für mich bestellt.

„Ich hab’s!“, sag ich zu meiner Freundin. „Ich schenk’s ihr zum Ansehen, und dann nehm ich’s wieder mit.“

„Joey!“ Meine Freundin seufzt und ’ne Stunde später noch mal, als ich vom Buchladen zurückkomme und erzähl, dass der Händler die Gans aus Versehen doppelt dorthin geschickt hat und ich aber doch nur ein Exemplar gekauft hab.

„Du hättest beide nehmen sollen“, sagt sie. „Du kannst das doch nicht bei allen so machen wie bei mir.“

„Was?“, frag ich, auch wenn ich genau weiß, was sie meint. Weil bei ihr mach ich das so: Ich schenk ihr ein Buch und wenn sie’s dann auspackt, frag ich sie, ob sie überhaupt Zeit dafür hat, weil wenn nicht, könnt ich das ja erst mal lesen. Funktioniert prima.

Meine Freundin schüttelt den Kopf. „Wir machen ’nen Kompromiss.“ Und schon reißt sie die Plastikverpackung weg und drückt mir das Gans-Buch in die Hand. „Jetzt lies das, dann wickeln wir’s wieder ein – und dann bleibt es bei deiner Schwester, okay?“ Joey Juschka

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