: Gamsachurdias „Kreuzzug“ gegen Tiflis
■ Der gestürzte Präsident kehrt überraschend nach Georgien zurück und ruft Tausende von Anhängern zum Marsch nach Tiflis auf/ Kundgebungen in der Hauptstadt und Krisensitzung des Kabinetts
Moskau (ap/dpa/taz) — Der gestürzte georgische Präsident Swiad Gamsachurdia ist zurückgekehrt: Am Mittoch war er von seinem vorübergehenden Exil in der armenischen Hauptstadt Eriwan abgeflogen — angeblich in das zu Rußland gehörende autonome Land der Tschetschenen, um in der dortigen Hauptstadt Grosny seinen Wohnsitz zu nehmen. Doch sein Flugzeug landete gestern am frühen Morgen im westgeorgischen Ort Suchumi, der Hauptstadt der autonomen Republik Abchasien. Ob er den Umweg über Grosny überhaupt genommen hat, blieb unklar. Von Suchumi fuhr er nach Sugdidi, nur noch 220 Kilometer von Tiflis entfernt. Vor rund 5.000 Anhängern rief er zum „Kreuzzug gegen Tiflis“ auf. Nach unbestätigten Berichten soll der Marsch bereits begonnen haben. Westgeorgien ist eine Hochburg von Anhängern Gamsachurdias, der am 6. Januar nach blutigen Auseinandersetzungen nach Armenien geflüchtet war. Zuvor hatte die bewaffnete Opposition 16 Tage lang den Regierungssitz belagert. Sie ließ den Eingeschlossenen und seine engsten Anhänger dann entkommen. Seine Gegner warfen Gamsachurdia, der im Mai vergangenen Jahres mit 87 Prozent der Stimmen zum Präsidenten gewählt wurde, diktatorisches Regime vor.
Die Rückkehr wurde in Tiflis vom amtierenden Ministerpräsidenten Tengis Sigua sowie in Moskau von der georgischen Mission und den Nachrichtenagenturen 'Ria‘ und 'Interfax' gemeldet. Georgi Sumbadse, ein Vertreter der in Opposition zu Gamsachurdia stehenden Nationaldemokratischen Partei Georgiens, meinte in Moskau, die Rückkehr des gestürzten Präsidenten werde „sicherlich zu Blutvergießen in Westgeorgien“ führen. Letzten Endes seien die Versuche Gamsachurdias, an die Macht zurückzukehren, aber zum Scheitern verurteilt.
Indessen ist in der Hauptstadt Tiflis die provisorische Regierung zu einer Krisensitzung zusammengekommen. Nach noch unbestätigten Berichten will die Regierung möglicherweise eine Generalmobilmachung anordnen, um auf die Herausforderung durch Gamsachurdia zu reagieren. Mindestens 2.000 Anhänger Gamsachurdias nahmen schon am gestrigen Mittag an einer Kundgebung in Tiflis gegen die Regierung teil. Sie hatten sich am Bahnhof versammelt und waren dann durch die Innenstadt marschiert. Dies teilte ein Sprecher der grünen Partei mit. Er kündigte an, daß auch die Gegner Gamsachurdias zu einer Demonstration aufriefen.
Gamsachurdia, der auch eine autonome Republik der Absachen und Mingrelen ausgerufen hat, gehört selbst der nationalen Minderheit der Mingrelen an. Zur Zeit verhandelt er mit dem tschetschenischen Präsidenten Dschochar Dudajew über die neue Staatsgründung.
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