PORTRÄT: Gabriele Tiedemann ist frei
■ Nach 16 Jahren wurde die ehemalige Kämpferin der „Bewegung 2.Juni“ und der RAF aus der Haft entlassen
Der letzte Akt des schier endlosen Dramas blieb ohne Publikum. Als das Tor der Justizvollzugsanstalt Köln-Ossendorf vor drei Wochen zum allerletzten Mal hinter Gabriele Tiedemann ins Schloß fiel, wartete draußen keine Kamera auf sie, keine Horde neugieriger Journalisten fiel über sie her. Genau so hatte sie es gewollt, fünf Tage vor ihrem vierzigsten Geburtstag.
Den „Startschuß“ für diese lange Geschichte feuerte die Frau, die eine Bekannte heute als „sehr zart, mit einem zähen stabilen Kern“ charakterisiert, selbst ab. Damals, im Juni 1973, war sie etwa halb so alt. Der Schuß traf einen Bochumer Polizisten, der sie in ihrem Bemühen hinderte, die „Rote Ruhr Armee“ aufzubauen. Dafür erhielt Gabriele Tiedemann, die später der „Bewegung 2. Juni“ und noch später der RAF zugerechnet wurde, acht Jahre.
Knapp zwei Jahre später ging jenes symbolträchtige Bild um die Welt, das die damals 24jährige endgültig zur „Top-Terroristin“ stempelte. Millionen Fernsehzuschauer wurden am 3. März 1975 zu unmittelbaren Zeugen der Niederlage des Staates gegen seine erbittertsten Feinde: Der frühere Regierende Bürgermeister Heinrich Albertz winkt zum Abschied von der Gangway. Die Genossen der „Bewegung 2. Juni“ hatten Gabriele Tiedemann und vier weitere Inhaftierte freigepreßt, im Austausch gegen den gekidnappten Berliner CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz.
Die Entscheidung für die Freiheit bezahlte Gabriele Tiedemann mit über dreizehn weiteren Jahren Knast — und es hätten leicht mehr werden können. Im Dezember 1977 nahm die Schweizer Polizei sie nach einer wilden Schießerei erneut fest. Wegen „fehlgeschlagener Mordtat“ erhielt sie 15 Jahre Zuchthaus. Man isolierte die „Top-Terroristin“ im Hochsicherheitstrakt. Dennoch trennte sie sich schon 1980 ideologisch von ihren früheren Genossen. 1989, nach dem Mord an Alfred Herrhausen, charakterisierte sie diesen Anschlag als „ebenso zynischen wie größenwahnsinnigen Versuch, die primitive Logik der alten Schwarzweißideologien in die Köpfe der Menschen zurückzubomben“.
Damals stand sie in Köln unter Mordanklage. Sie sollte jene kleine Frau mit dem Decknamen „Nada“ gewesen sein, die im Verlauf des Überfalls auf die Opec-Ministerkonferenz in Wien im Dezember 1975 angeblich zwei Menschen erschossen hatte. Der Prozeß endete mit einem Freispruch, weil der „erhebliche Verdacht gegen die Angeklagte sich nicht zur Gewißheit verdichten“ ließ. Ihm vorausgegangen war ein jahrelanges Tauziehen um die Auslieferung nach Deutschland, in deren Verlauf die hiesigen Behörden phasenweise auf Überstellung und Prozeß verzichten wollten. Grund: der zum Superterroristen stilisierte Venezuelaner „Carlos“ hatte mit neuen Anschlägen gedroht, wenn „Nada“ der Prozeß gemacht werde.
Gabriele Tiedemann wurde jetzt ein Teil der Reststrafe aus dem Jahr 1973 erlassen. Schon seit Januar arbeitete sie als Freigängerin bei einer Filmproduktionsgesellschaft. Die vorherrschende Seelenlage am Ende einer langen Reise charakterisiert sie mit einem einzigen Wort: „Durchmischt.“ Gerd Rosenkranz
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