: GRUSSWORTE
■ Die Bewegung ist tot - es lebe die Bewegung!
Aus Anlaß des heutigen Datums, des „Internationalen Frauentags“, erlauben wir uns, wie die reiche Tante aus Amerika alias Westberlin, mit liebevoll-altklug erhobener Hand und ein ganz klein bißchen Neid gen Osten unseren Neu -Schwestern zuzuwinken. Während diese nämlich noch alles vor sich haben, quasi im allerheftigsten Frauenbewegungsgründungsfieber stecken - das erste Frauenzentrum in Ostberlin erwartet seine Kundinnen, es wird gruppiert, selbsterfahren und -verwirklicht, was das Zeug hält - stehen wir ermüdet und betreten da und fragen uns, ob das denn alles gewesen ist.
Die Verfasserin der hier abgedruckten Textbruchstücke war einige Zeit Redakteurin bei der ersten feministischen Frauenzeitung, die 1976 in Westberlin gegründet wurde und 'Courage‘ hieß. Nachdem sie schon die Zeitung verlassen hatte, schrieb sie in einer der letzten Ausgaben, bevor das Blatt 1984 aus Mangel an Bewegung bankrott ging, eine Art Resümee.
Für unsere östlichen Schwestern, die jetzt in den Startlöchern für ihre erste, authentische, nochniedagewesene, allerneueste, radikale Frauenbewegung stehen, sei es gestattet, jenen Beendigungstext den aufbrechenden Damen zu Gesicht zu bringen. Teils zur Vorankündigung - es gibt nichts Neues unter der Sonne dessen, was den verehrten Neuschwestern demnächst an Unter-, Neben-, Teil- und Spaltbewegungen ins Haus steht; teils zur Vermeidung ebensolcher womöglichen Irrgänge. In diesem Sinne: Seid nicht bereit und ein fröhliches Schwanz ab!
CD
Skeptisch blickt sie in den Spiegel. Ihm haben ihre Brüste nicht gefallen. Die weiche Schwere passe nicht zu ihrem kindlich strengen Gesicht, hatte er enttäuscht gesagt. Beschämt wagt sie nicht, das Gewand ganz fallen zu lassen. Zart hebt sie die rechte. So häßlich ist sie doch nicht?
Er hat sie zum Objekt gemacht. Wie Millionen Männer es mit Frauen tun. Er hat sie entblößt; vor vier Jahrhunderten. Preisgegeben den Augen von Millionen. Sie hat sich nicht freiwillig enthüllt. Er hat sie überredet, in jedem Fall; sie brauchte Geld, sicher; sie war seine Geliebte, vielleicht; er versprach ihr Ruhm. Aber er war es, der berühmt wurde. Und seither muß sie namenlos kennerischen Blicken standhalten. Ach, schöne Schwester, zur Ewigkeit verdammt vom Pinsel des weltbekannten Voyeurs.
Sie schaut die Freundin an, konzentriert. „Und jetzt zeig mir deine!“ Sie weiß, was sie zu bieten hat. Sie muß sich nicht schämen.
Süchtig nach Erregung präpariert der geile journalistische Blick die Welt dem süchtig gemachten Publikum als eine einzige Kette von Enthüllbarem. Doch nie wird Frau Welt vollständig ausgezogen. Immer noch muß für den gierigen Blick von morgen eine letzte Stelle verborgen bleiben, auch wenn das Nackte von gestern schon vergessen ist.
Jetzt spreche ich selbst. Ich als Frau. Ich zeige mich, wie ich bin. Ich nehme keine Rücksicht. Ich bin betroffen. Von mir soll die Rede sein. Seht mich an. Zu Tränen erschüttert hüllen die anderen Frauen diesen Akt von Authentizität in Liebe ein.
Der Feminismus ist die Revolte der Verweigerung gewesen. Aufkündigung des stummen, verborgenen Dienstes an allen Herren der Welt. In nackter Schärfe wurde gekämpft, unverhüllt Anklage erhoben, den Männern die Lust entzogen. Und was ist geworden? Als gezähmte Bestien zieren die Scharfzüngigen von einst die medialen Diskussionsrunden der Feinde. Arriviert und vereinnahmt, schmückendes Proporz -Beiwerk und vorgetragen mit abwesendem Blick.
Sie wird es nie begreifen, aber ihrer Sehnsucht nicht mehr nachtrauern. Männer sind so. Immer wollen sie nur dieses. Sie wird ihnen geben, was sie begehren. Aber nicht umsonst. Sie wird ihr Kapital arbeiten lassen und verachtet die Käufer ihrer Lust schon jetzt. Kühl probt sie die Verführung.
Die gerettete Lust - verhalten lächelnd, in Siegergleichmut. Orte des Begehrens - wie vor dem Kampf der Geschlechter sind sie auch nachher und jetzt. Das Vergnügen an weiblichen Brüsten ist keines, das historischer Ungleichheit, der Gewalt von Unterdrückung gehorchte. Frauen und Männer hatten sie und haben sie noch. Alle Blicke verraten es.
Wir sind neue Mütter. Wir alle besitzen das Leben und schenken es. Aus Schoß und Brüsten. Mit unseren Kindern setzen wir mutige Zeichen gegen die Zerstörung der Welt. Wir sagen nein zu todbringenden Waffen, und wir sagen ja zur Kraft des wärmenden Lebens. Wir sind stolz auf unsere Mütter -Brüste.
Alma mater - Metapher einer männlichen List: Um uns aufs schönste von den Schätzen des Hauses fernzuhalten, haben sie das Haus des Wissens selber zur großen Mutter ernannt, aus deren Brüsten die Milch der Weisheit fließt. Die Frau sei, der Mann erkenne!
Lerne deinen Körper kennen, hatten sie gefordert und ihr den Weg zur Freiheit versprochen. Was sie sich eingehandelt hat, ist ein Objekt der Sorge. Eine hochkomplizierte Maschine, die ständiger Überwachung bedarf; ein latenter Symptomträger, der gemessen, abgetastet, verantwortlich ernährt sein will. Mit Angst befühlt sie ihren sekundären Geschlechtsmerkmale und weiß, daß sie keine Angst haben darf, weil sie weiß, daß Angst das Befürchtete befördert. Sie schaut angestrengt beiläufig.
Immer sind wir auf der Suche nach der Wahrheit. In der Gewißheit, daß, wenn wir sie schauen, das Glück herrschen wird. Ewiglich. Und immer entweicht die Wahrheit lächelnd an einen anderen Ort: Das enthüllte Wesen wird - erschaut - zur modischen Form. Ach, niemals nackte Wahrheit!
Ich habe ein Recht auf meinen Körper. Er gehört allein mir. Kein Fremder darf ihn verletzen. Doch kein Fremder will ihn verletzen. Die Überfülle feilgehaltener Körper hat die böse Begierde getötet. - Um ihr Recht einklagen zu können, muß sie das Objekt der Begierde erst wieder beleben. Hilflos greift sie zur ältesten Geste und enthüllt die Brust.
Weiblichkeit ist das Versprechen des Glücks. Die Utopie des Anderen. Wir werden den männlichen Diskurs des Einen -Identischen vergessen und auf die Sache der wortlosen Zweiheit horschen: zwei schamlose Lippen, die einander berühren; zwei Schwester-Brüste, gleich und doch ungleich. Und hinter einer verbirgt sich das Herz.
Christel Dormagen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen