: GRATISDÜFTE INCLUSIVE
■ Neu-alte Partykultur mit „Schüttelfieber“ im Statthaus Böcklerpark
Etwas ganz Besonderes sollte „Schüttelfieber„ im Statthaus Böcklerpark werden. Betont angeödet von kommerziellen Berliner Parties wollten die Organisatoren Saydou Bangoura, Christian Quandt und Diar Amin ein neues Partykonzept vorstellen, eine Veranstaltung für die Sinne: „Schüttelfieber ist eine Inszenierung, bei der Lichteffekte, Musik, Tanz und Geruch durchgehend aufeinander eingestimmt sind und so Stimmungen und Höhepunkte setzen.“ Konsumenten sollten zu Produzenten gemacht werden. Das haben andere auch schon versucht. „Das Publikum als wichtiger Bestandteil von Schüttelfieber soll das Gefühl haben, dazuzugehören.“
Kein Problem. Das Sinnesorgan Haut signalisierte 122 beats per Minute, ausgelöst auf dem großen Zeh und von den Fäusten, die die Rippen trafen. Schweißwasser ließ Catchergriffe abrutschen. Der einzig freie Platz in dem schmucklosen Raum vor den Boxen, aus denen Clock DVA die Zellen zum Schwingen brachte - Musik, die über die Haut aufgenommen wird.
Der Rest kam durch die Ohren. War es House, oder war es HipHop, oder beides, und jede Menge Seichtes. Dazwischen fein übertragene Soul- und Percussion-Darbietungen von irgendwem irgendwo auf dem Laufsteg. Keine Moderation, „um das Publikum nicht in eine passive Zuschauerrolle zu drängen“. Letztendlich war es egal, ob hier ein live-act geboten wurde oder die Töne vom Band kamen.
Zu sehen war fast nichts außer großen Männern, die ihre sauber rasierten Nacken in die erste Reihe geschoben hatten. Über ihren Köpfen tauchten irgendwann Hüte auf. Ah - die Modenschau der Jungdesigner! Durch Einsatz der Zehenspitzen ließen sich Decolletes erkennen. Ein bißchen Sado-Maso -Imitiation zum obligatorischen Gejohle und unsichere Schritte der Models zur grob zusammengeschnipselten Musik. Keine Ahnung, wer die/der DesignerIn war.
Die Gerüche hatte das schlappe sechs Mark zahlende Publikum selbst mitgebracht. Eau de Toilette ohne Chance gegen die schweren Parfums. Rasierwasser war flaschenweise in Hemdkragen gekippt worden. Wem der Duftstoff übers Wochenende ausgegangen war, stank hoffnungslos nach Schweiß. Die Nase schwindelte. Die Zunge klebte gelähmt am Gaumen. Selters und warmer Sekt aus Plastikbechern, die Eiswürfel aus dem Grabbelbecher. Ob alle die Zange benutzen? Die Organisation des Caterings war schnell durchschaut: während der Acts bedienen zwei oder drei junge Männer, als fast alles vorbei war, sogar vier, in den Pausen dagegen nur einer. Männer wurden grundsätzlich zuerst nach ihren Wünschen gefragt.
Der Run auf die Theke löste den Run auf die Klos aus. Für Frauen hat das Statthaus Böcklerpark nur zwei. Das ist nun einmal so. Das hinderte keine, die mitternächtliche Schönheitskorrektur ins Unendliche zu ziehen. Haarspray kann auch dröhnen. Selten, aber hier zu beobachten: Frauen, die sich in die Büsche schlugen.
Allmählich verlagerte sich das Geschehen ins Freie: Junge Menschen gepflegter Bräune stehen zusammen wie im Pausenhof. Vier Uniformierte drehten die Musik leiser. Jetzt war die Abiturfeier perfekt. Plötzlich war es doch schon halb drei. Hunger, kein Stück betrunken oder müde. Die Sinnesorgane lechzten nach mehr. Höchste Zeit, die Örtlichkeit zu wechseln.
Claudia Wahjudi
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