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Archiv-Artikel

GESUNDHEITSREFORM: VIELE PROBLEME WÄREN VORAB ZU LÖSEN GEWESEN Tausendundein Sonderfall

Reform ist, wenn alle gleichzeitig verwirrt sind. Seit dem 1. Januar laufen Telefondrähte heiß – nicht nur im Gesundheitsministerium, sondern auch in den Zeitungsredaktionen, Krankenkassen, kurz: überall, wo kranke Menschen informierte Menschen vermuten. Tausendundeine Frage wirft die Gesundheitsreform auf: Ist die Arztgebühr auch bei Fahrten im Notarztwagen fällig? Wieso will der Augenarzt für die Bestimmung der Sehschärfe extra bezahlt werden? Wie kommt die Schwerbehinderte zu ihrer täglichen Operationsnachsorge, wenn die Taxifahrt nicht mehr erstattet wird?

Vielleicht sollte man dem Ministerium, den Kassen und Ärzten nachsehen, dass sie nicht alles gleichzeitig klären können. Zu tausendundeinem Detail gehören auch tausendundein Sonderfall. Unverzeihlich aber ist, dass Fragen noch nicht beantwortet sind, die früh genug auftauchten. Ulla Schmidt selbst deutete es schon im Sommer an: Sozialhilfeempfängern sei die Zuzahlungslast nur zumutbar, wenn sie übers Jahr gestreckt würde. Das leuchtete ein. Drei oder sechs Euro im Monat sind etwas anderes als 35 oder 70 Euro gleich im Januar für Praxisgebühr und Medikamentenzuzahlungen. Was seither passiert ist? Nichts, eine gesetzliche Regel hierzu blieb aus. Andere haben ihre Rechte vorsorglich und umsichtig gewahrt. Das gilt nicht nur für die Ärzteverbände, die monatelang kein anderes Problem mit der Praxisgebühr kannten als die Frage, ob sie an säumige Patienten nun Mahnbriefe schreiben müssen oder nicht.

Auch bei der versprochenen Übertragung der Reform auf Abgeordnete und Beamte hat ein findiger Kopf nachgerechnet: Sie zahlen nur 20 Euro Praxisgebühr pro Jahr – und nicht 40 Euro wie die gesetzlich Versicherten. Sach- bzw. symbollogisch, beamtenrechtlich oder nach Durchschnittsbelastungen berechnet mag das hinkommen. Doch die Botschaft ist trotzdem deutlich: Für uns, liebe Leute, ist gesorgt. Nicht gesorgt ist dagegen für viele, die auch sonst nicht für sich sorgen können. War es das, was jetzt alle unter Eigenverantwortung verstehen? ULRIKE WINKELMANN