GERHARD DILGER ÜBER DEN FALL CESARE BATTISTI : Lula und die Staatsräson
Für das politische Establishment in Italien ist der Fall klar: Nach der knappen, aber höchst korrekten Grundsatzentscheidung des obersten Bundesgerichts in der Hauptstadt Brasília solle Präsident Lula den Exterroristen Cesare Battisti so schnell wie möglich ausliefern – so auch der überwiegende Tenor in den italienischen Medien.
In Brasilien weist die Debatte über den Fall – wie auch zuvor schon in Battistis französischem Exil – Züge eines Glaubenskriegs auf: Für viele ist das Begehren des demokratischen Rechtsstaats Italien, den „Terroristen“ Battisti auszuliefern, legitim, ebenso sind es die Urteile, auf denen es beruht. Andere stilisieren ihn zum aufrechten Kämpfer gegen ein Unrechtssystem. Aus ihrer Perspektive besteht zwischen der brasilianischen Militärdiktatur der Siebzigerjahre und den bleiernen Jahren des Links- und Rechtsterrorismus in Italien ein nur gradueller Unterschied.
Staatschef Lula steckt in der Zwickmühle: Liefert er Battisti aus, desavouiert er seinen Justizminister und bereitet einem restriktiven Asylrecht den Weg. Innenpolitisch käme solch ein Schritt in einer symbolisch bedeutsamen Frage einem Einknicken vor den Konservativen gleich. Bekräftigt der Präsident das Asyl für Battisti, wird die Beziehung zu Italien weiter belastet.
Allen kann es der erfahrene Verhandler und Paktierer Lula also im Fall Battisti wirklich nicht recht machen. Wegen einer umfangreichen Amnestie sitzen in Brasilien weder ehemalige Guerilleros noch Mörder oder Folterer in Uniform im Gefängnis. Hinzu kommt: Die nationale Souveränität ist traditionell ein hohes Gut, auf Druck von außen reagiert man allergisch.
Unter Lula ist das Selbstbewusstsein der aufstrebenden Regionalmacht noch gewachsen. Gut möglich also, dass sich der Präsident gerade deswegen für Battisti entscheidet.