GENERATIONEN: Der große Wurf

Als ihre Kita abbrannte, kamen Kaulsdorfer Kinder vorübergehend in einem Seniorenheim unter. Das gefiel beiden Seiten.

Kita abgebrannt? Macht nix! Bild: dpa

"Mensch ärgere Dich nicht" kennen alle. Frau Mohse, Frau Rottstock und Frau Ahrend aus dem Seniorenpflegeheim in Kaulsdorf-Nord spielen das alte Spiel gemeinsam mit drei Jungen aus der Kita "Weltentdecker". Das Spielglück ist an diesem Donnerstagmorgen auf der Seite der Seniorinnen: Sie würfeln die Sechsen reihenweise; ihre Figuren ziehen an denen der Kinder vorbei. Das Spielbrett ist deutlich größer, als es der fünfjährige Adrian aus der Kita kennt: Auch stark sehbehinderte Menschen sollen mit den Spielsteinen hantieren können.

Emely (5) und Florentine (4) sind derweil auf der Toilette im Seniorenheim. Dass die so groß ist, dass auch Rollstuhlfahrerinnen hineinfahren können, ist für die Mädchen ein Abenteuer. Ein Steppbrett, das sonst im Seniorensport eingesetzt wird, hilft den Kindern als Steighilfe auf das ungewohnt hohe Örtchen. "Den roten Knopf dürfen wir nicht drücken", mahnt Emely Florentine. Sie weiß auch, warum nicht: Der würde Alarm auslösen. Dann käme eine Krankenschwester und würde eine Seniorin in hilfloser Lage vermuten.

Die Kinder kennen sich so gut im Seniorenheim aus, weil ihre Kita hier vorübergehend untergebracht wurde. Das intergenerative Projekt hat niemand geplant. Vor einem Monat brannte es in dem Kitagebäude; Leiterin Martina Junius musste an einem Sonntag Plätze finden, an denen sie alle 180 Kinder ab dem kommenden Tag unterbringen konnte. "Meine Mutter lebt in dem Heim. Darum wusste ich, dass ein frisch renovierter großer Saal vorübergehend leer steht", berichtet sie. Das Heim bot ihr an, 50 Kinder unterzubringen. "Wir wurden mit offenen Armen empfangen und werden fast wie im Hotel verköstigt", freut sich die Kitaleiterin. An dem heutigen Freitag ist der letzte Tag der aus der Not geborenen intergenerativen Symbiose. Ab nächster Woche ist die Kita wiederhergerichtet.

Davon weiß der Heimbewohner noch nichts, der die Tür zu seinem Zimmer weit geöffnet hat, um den Kindern beim Spielen zuschauen zu können. Wie viele andere Heimbewohner auch leidet er an Demenz. Die Anwesenheit der Kinder ist wie ein Jungbrunnen für ihn.

Pflegeheimleiter Herbert Großmann bedauert den Auszug der Kinder. "Hier im Haus war Leben. Die Kinder konnten sich darüber freuen, dass mein Büroraum so groß ist." Vor allem aber haben sie Freude in den Alltag der Bewohner gebracht. "Manche Bewohner können das nicht mehr zum Ausdruck bringen. Aber an ihrer Körpersprache hat man die Freude sehen können." Kinder würden unbefangener mit Demenzkranken umgehen als Erwachsene, fährt er fort. "Erwachsene haben da oft Scheu. Und diese Unbefangenheit tut unseren Bewohnern gut."

Während zwei Kinder über den Flur toben, schiebt Pflegeassistentin Romy Winter eine Rollstuhlfahrerin zu einer Behandlung. Sprechen kann die alte Dame nicht mehr, aber das Kinderlachen zaubert ihr ein Lächeln ins Gesicht. Eine Frau, die noch laufen kann, hält zwei Mädchen fest und streichelt ihnen über die Wange. Romy Winter: "Die Kinder bringen Leben hier hinein. So etwas müsste es öfter geben."

Und auch den Kindern macht es Spaß. Die fünfjährige Maria erzählt, dass ihr die Omas und Opas immer zuwinken würden. Einer Oma hat sie mal einen Bonbon geschenkt. "Sie hat sich so sehr darüber gefreut."

Wenn die Kinder mit Magnetsteinen und Tierfiguren spielen, können die Senioren damit wenig anfangen. Aber gemeinsam singen hat funktioniert. Jeden Dienstag probte im Haus ohnehin ein Seniorenchor. Die Kinder machten mit. "Das war cool", sagt die fünfjährige Emely. Lieder wie "Hänsel und Gretel" und "Alle Vögel sind schon da" gehören generationsübergreifend zum Repertoire.

Traurig war Emely nur, als eine alte Frau in einen Krankenwagen hineingefahren wurde. "Da musste ich an meine Oma denken. Sie hatte einen Schlaganfall und kam auch ins Krankenhaus", erzählt sie.

Manuela Schmidt (Linke) ist Jugendstadträtin in Marzahn-Hellersdorf. "In unserem Bezirk ist das nicht das erste generationsübergreifende Projekt. Es ist nur das erste, das die Presse entdeckt hat", sagt sie. Andernorts würden Kinder am Seniorensport teilnehmen.

9 Uhr. Die Kinder lassen ihre Magnetspielsteine, Spielbretter und Knetmasse liegen und stellen sich an der großen Wand auf. Es ist der vorletzte Tag im Seniorenheim und sie singen zum Abschied für das Personal und einige Bewohner ein Lied von der Amsel. "Ihr könnt uns ja wieder mal besuchen kommen", sagt der Heimleiter. "Ihr könnt uns auch besuchen kommen", erwidert Florentine. Doch das ist erst im September möglich. Bis dahin wird in der Kita eine rollstuhlgerechte Toilette eingebaut.

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