: GEMÜSE UND UNTERGRUND
■ „Flüstern & Schreien - Ein Rockreport“ im Sputnik Südstern
Die Puhdys sind tot! Leider immer noch nicht ganz, aber lange können es die Lebenserhaltungssysteme vom VEB Verkennung-der-Realitäten nicht mehr machen, und die DDR -Offiziellen müssen endlich zugeben, daß ihr Versuch, eine Pop-kultur unter totaler staatlicher Kontrolle aufzuziehen, fehlgeschlagen ist. Die Zeiten, als Bands wie Karat auch im Westen gute Verkäufe hatten, sind sowieso schon lange passe, aber seit die gezüchteten Ost-Superstars von der Popmusik -Akademie selbst in der DDR nicht mehr so glänzend zu verkaufen sind, hat sich einiges geändert, ist der schon immer existente, aber früher totgeschwiegene und unterdrückte Ost-Underground plötzlich ganz offiziell entdeckt.
'Zitty‘ und 'Tip‘ überschlugen sich, auch die taz wollte nicht nachstehen, und alle brachten Artikel über die aufregende Ostberliner Szene, in der sich - ganz in Gegensatz zum Westen - im Moment tatsächlich einiges tut. Das Schöneberger Ecstacy schaffte das Unmögliche, holte drei Ostberliner Kapellen, die nicht den geregelten Gang des real existierenden sozialistischen Erfolges gehen, in die kapitalistische Hälfte der Stadt und prompt trampelten sich die Kamerateams auf den Füßen rum.
Dabei hatte alles ganz harmlos begonnen. Amiga, die DDR -Plattenfirma, nahm gerade mal einen Sampler mit vier Ost -Bands auf, bisher immer noch das einzige Lebenszeichen des DDR-Untergrundes auf Vinyl, und die DEFA drehte einen Dokumentarfilm, „Flüstern & Schreien“ eben. Daß Feeling B überhaupt in dem Streifen landeten, war wie so vieles in der Karriere der drei vom Prenzlauer Berg „reiner Zufall“ (eine der Lieblingsvokabeln von Sänger Aljoscha). Weil ein Festival, das das Filmteam aufnehmen wollte, ausfiel, wurden halt Feeling B gefilmt, die Künstler bei der Aktionsmalerei begleiteten. Diese Sequenz fehlt zwar im Film, aber Feeling B waren drin in einem Streifen, der sich vor allem um die momentanen Ost-Superstars Silly und um Chicoree, denen man ähnliches prophezeite, drehen sollte. Aber durch Feeling B und Sandow (einer anderen, zu diesem Zeitpunkt noch völlig unbekannten Underground-Band) wurde „Flüstern & Schreien“ gewollt oder nicht - zu einer Abrechnung mit dem hirnrissigen System, welche Musik in der DDR sein darf und welche nicht, und führt die Vorstellung, daß man Jugendkultur organisieren könnte, ad adsurdum.
Auf der einen Seite erzählt Aljoscha von Feeling B im Band -Bus kochend über die chaotischen Anfänge der Band, danach spielen sie ein Konzert am Badestrand und die Kids tanzen Pogo im Sand. Auf der anderen Seite sitzen die Reste von Chicoree reichlich belämmert, weil sich die Band während der Dreharbeiten auflöste, geschickt aufgebaut hinter einem DX7 -Synthie, ein in der DDR unerschwingliches Gerät, und faseln von der Verbundenheit zu ihren Fans, wie wichtig ihnen doch die Musik ist, was für arme Jungs sie doch sind und so weiter. Man weiß nicht, ob man weinen oder lachen soll, über soviel ungeschickte Verlogenheit, über die halben Portionen, die nicht einmal mitkriegen, daß sie entlarvt sind. Eine halbe Stunde später hat der Chicoree-Sänger einen neuen Partner und einen Auftritt bei einem DDR-typischen Diskoabend sonstwo in der Provinz. Betretene Gesichter und Schweigen, wohl auch wegen der Kameras, eine lächerliche Bühne und zwei Hampelmänner, die als Die Zöllner mit Diskostumpfmucke versuchen, die Leute in Schwung zu bringen, was völlig in die Hose geht. Die langen Gesichter in der Kabine sind aufschlußreicher, als das Gerede von „war ja gar nicht so schlecht“ und „besser als letztes Mal“.
Szenenwechsel. Zwei der Jungs von Sandow fahren im Urlaub mit dem Fahrad irgendwo durch die Botanik, die Klampfe dabei und der Sänger erzählt symphatisch-versponnenen Kram, während das zweite Bandmitglied stumm und verschreckt daneben sitzt, es nicht wagt auch nur einen Blick in die Kamera zu werfen, aber ständig zustimmend nickt. Im Gegensatz dazu inszenieren sich Silly backstage nach dem Konzert medienerfahren und gekünstelt, versuchen ein Wir -sind-ja-ganz-normal-Image aufzubauen, dem sie selber schon lange nicht mehr glauben.
Ein wichtiger Teil sind - neben der Musik selbst - die Interviews mit den Fans. Da gibt es die auftoupierten Teenies, die in ihrer auf Ost-Niveau zurechtgestutzten Pop -Traumwelt leben, und Jennifer Rush ist hier eben Tamara von Silly. Die entnervenden Streitereien mit den Eltern, die sich sogar noch über die zahn- und harmlosen Texte von Silly und das angewavte Styling der Band aufregen können, lassen in Ansätzen erkennen, daß selbst solch eine lahmarschige Langweiler-Band in der DDR eine gewisse Sprengkraft besitzt.
Die Probleme der Sandow- oder Feeling B-Fans sehen da schon etwas ernster aus. Verranzt und kurzgeschoren oder gefärbt sehen sie sich ständigen Angriffen ihrer Umwelt ausgesetzt, haben Probleme in Schule und Beruf wegen ihres Aussehens, müssen sich eines völlig aus der Luft gegriffenen Faschismus -Vorwurfes erwehren, und haben permanente Schwierigkeiten mit der Polizei.
Durch diesen äußeren Druck entsteht ein Gemeinschaftsgefühl des Anderssein zwischen allen Jugendstilen. Es gibt zwar Unterschiede, aber keine Feindschaft wie im Westen. Die Trennungslinie verläuft nicht zwischen kurzen und langen Haaren, sondern zwischen links und rechts, denn auch Skins gibt es, wenn auch nicht offiziell.
Der Film hat manchmal fast zu schöne Bilder für einen Dokumentarfilm, inszeniert sehr bewußt und manchmal etwas zu platt und deutlich, verzichtet aber Gottseidank auf Off -Kommentare und war ein großer Erfolg in der DDR. Und natürlich ist es überhaupt ein Wunder, daß er so und nicht anders, nicht nach offizieller Linie zustande gekommen ist.
Thomas Winkler
„Flüstern & Schreien“, DDR 1988, von Dieter Schumann und Jochen Wisotzki, 120 Min. Um 21.15 und 23.45 Uhr im Sputnik Südstern
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