GEHT’S NOCH? : Die guten Arbeiter von Amazon
BEI AMAZON UNTERSCHREIBEN BESCHÄFTIGTE GEGEN DIE GEWERKSCHAFT VER.DI, DIE HÖHERE LÖHNE DURCHSETZEN WILL
Teile und herrsche! Dieses Rezept zum Erhalt und Ausbau der eigenen Macht ist uralt – auch bei Kämpfen zwischen Kapitalisten und Arbeitern, die höhere Löhne und weniger Druck in den Fabriken fordern, ist es zigfach angewendet worden. Eine Neuauflage bietet nun der US-Versandhandelskonzern Amazon, der die Forderung der Gewerkschaft Ver.di nach höheren Verdiensten für die Beschäftigten und tarifvertraglich geregelten Arbeitsbedingungen vehement ablehnt. „Alle Unterzeichnenden distanzieren sich von den derzeitigen Zielen, Argumenten und Äußerungen der Ver.di, die in der Öffentlichkeit über Amazon und damit über uns verbreitet werden.“
So steht es in einem offenen Brief Leipziger Amazonier, den über 1.000 Beschäftigte des Konzern in Deutschland unterschrieben haben sollen. Der Brief, der in dieser Woche bekannt wurde, ist ein Schlag ins Gesicht der streikenden Amazon-Beschäftigten, die den Konzern mit ihrem Ausstand während des Weihnachtsgeschäfts unter Druck setzen wollten. Teilweise, so berichten Gewerkschafter, seien die Unterschriften im Beisein von Vorgesetzten geleistet worden; auch hätten viele befristet Beschäftigte unterzeichnet – offenbar in der Hoffnung, durch Wohlverhalten ihre Beschäftigungsaussichten zu verbessern.
Dass bei Amazon Ängste und Nöte von Arbeitnehmern derart ausgenutzt werden, ist schlicht widerlich. Offenbar geht es darum, eine in Deutschland anerkannte Gewerkschaft mit ihren Tarifverträgen aus einem internationalen Konzern herauszuhalten, dessen Gründer Jeff Bezos mittlerweile ein Vermögen von 35 Milliarden US-Dollar angehäuft haben soll. Was kommt beim nächsten Ausstand? Die persönliche Ansprache von streikenden Mitarbeitern und Gewerkschaftern durch das Management im Beisein von Sicherheitspersonal?
Es wird Zeit, dass auch die Konsumenten begreifen, welches Spiel bei Amazon gespielt wird. Der bequeme Klick, der die Waren ins traute Heim bestellt, ist nicht folgenlos – weder für die Produzenten noch für die Lieferanten. Wer humane Arbeitsbedingungen will, sollte einem Branchenführer wie Amazon nicht durchgehen lassen, seine Beschäftigten nach Gutsherrenart zu behandeln. Schließlich gibt es Alternativen – auch für Bestellungen im Internet. RICHARD ROTHER