piwik no script img

GASTKOMMENTARHochschaukeln

■ Konfliktstrategie in Berlin

Besuchereindruck von West-Berlin im September: Eine „grüne Stadt“! Besonders günstig gedeiht offenbar im Treibhausklima des Treibhauses West-Berlin olivgrün. Aber im Ernst: Nach der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank müssen sich die deutschen Ausrichter eine Menge Fragen gefallen lassen: Wie verantwortlich handelten die Verantwortlichen, als sie auf dem Tagungsort West-Berlin beharrten? Wäre nicht die Finanz- und Wirtschaftsmetropole Frankfurt am Main mit ihrer internationalen Verkehrsvernetzung geeigneter gewesen? Oder – fürchterlicher Verdacht – war nicht sentimentale Berlin-Tümelei ausschlaggebend, sondern sollte bewußt die Insellage des „Bunkers Berlin“ ('BBC') ausgenutzt werden? Schien der „closed shop“ Berlin sicherer als das „offene“ Frankfurt? Wie dem auch sei, das Kind ist im Brunnen, explosiv schaukelten sich jugendliche Protestierer – das war beileibe nicht der schwarze Block – und „grüne“ (Polizisten) gegenseitig hoch. Beide Seiten frönten einem „Räuber und Gendarme“-Spiel in der City. Auf das Skandieren der IWF –Gegner (“IWF – Mördertreff!“) folgte prompt polizeiliches Räumkommando mit der Dauerdrohung: „Bei Widerstand wird der Schlagstock eingesetzt!“

Augenmaß, auch gegenüber Unbeteiligten, ließ die Polizei vermissen. Gelassenheit war nicht ihre Stärke. Besonders nicht bei „Fremdkräften“ aus dem Bundesgebiet. Jung, unerfahren und unsicher in ungewohnter Umgebung zeichneten sich die Bundesländer-Polizisten durch Überhärte aus. Bevorzugte Opfer: DemonstrantInnen und JournalistInnen. Artikel 5 des Grundgesetzes, Presse- und Berichterstattungsfreiheit, wurde mißachtet. War es blauäugig oder blanker Zynismus? Innensenator Kewenig, vorübergehender Dienstherr der vereinten West-Berliner und westdeutschen Polizeikräfte, kündigte „Untersuchungen“ an. Wenige Stunden später, trotz markiger Senatorenworte, das gleiche Spiel: Polizisten akzeptierten nicht den Polizeistempel auf dem „Passierschein“ im Presseausweis. Frage: Wer verschaukelt da wen?

Georg H. Fürbock, Bonner Korrespondent des 'Kurier', Wien

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen