GASTKOMMENTAR: Riesenzwerg
■ Zum Tod von F.J.Strauß
Er wird im Tode aufgeblasen von Freund und Feind als eine große Gestalt. Seine bierzelttrainierte Schlagfertigkeit wird nun gefeiert als Sprachgewalt. Seine Schlauheit wird als Geist angepriesen, seine Grobschlächtigkeiten als Kraft. Die Statements der großen Politiker aus der Kleinstadt am Rhein zeigen es: Sie nennen Strauß einen Riesen an Tatkraft und Verstand. Das ist die Sicht der Zwerge.
Der urige Bayer wird zu den Gründungsvätern der Bundesrepublik gerechnet. Das ist leider wahr. Der SPD-Vogel verklärt den Verstorbenen poetisch zum „Urgestein“, dabei zeigen die diversen Affären des gefeierten Toten das Gegenteil. Wo er und seine Spezis Fundamente legten, da ist die Demokratie in Deutschland auf Sand gebaut. Strauß klebte am Tagesinteresse, deswegen spreizte er sich gern als Vorausdenker. Dabei hatte er keinen Schimmer von einer Zukunft, in der die Menschheit neue und bessere Wege geht und vielleicht doch überleben könnte. Er wurstelte pragmatisch. Dieser Mangel an Visionen kam aus dem Mangel an Geschichtsbewußtsein. Über die faschistische Vergangenheit sprach er wie ein unbelehrbarer Faschist. Im Jahre 1969 verbrach Franz Josef Strauß dieses Wort: „Ein Volk, das diese wirtschaftlichen Leistungen vollbracht hat, hat ein Recht darauf, von Auschwitz nichts mehr hören zu wollen.“
Erich Honecker verliert in Strauß einen bequemen Feind und einen wahren Freund und heimlichen Helfer in der Devisennot. Immerhin, bei Strauß mußte man nicht groß rätseln. Er besuchte den Diktator Pinochet und nannte das faschistische Chile eine Demokratie. Es ist gut, wenn man weiß, welchen Begriff bestimmte Politiker von politischen Begriffen haben. Strauß kaufte als Bonner Verteidigungsminister blind die selbstmörderischen Starfighter, er war und blieb ein zuverlässiger Manager für die Rüstungskonzerne, inclusive Atomindustrie. Die Aushöhlung des Asylrechts für verfolgte Ausländer und seine Judenstern-Politik gegen Aidskranke waren bayerische Spezialitäten, und die zeigten deutlicher als alle Worte, was er aus seiner eigenen Nazivergangenheit gelernt hatte.
Ich trauere ihm auch als meinem Bilderbuchfeind nicht nach. 1980, als er partout Bundeskanzler werden wollte, hat er mich zu zwei Liedern inspiriert, die nicht zu meinen besten gehören. Ich hätte den Bibelsatz bedenken sollen: Wer mit den Narren umgehet, wird selbst ein Narr. Aber im Kuddelmuddel der Tageskämpfe muß das Ästhetische manchmal zu kurz kommen – und der Haß in solchen Häßlichkeiten hat auch seine Schönheit.
Wolf Biermann
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