GASTKOMMENTAR: Realität und Gespenster
■ Kein 'Sputnik' mehr in der DDR
Schlechte Witze zu machen wird in der DDR immer schwieriger: Die Realität überholt sie regelmäßig. Waren früher West –Kontakte, West-Literatur, überhaupt der Westen Quelle aller Gefahr, so gehen jetzt die Gespenster aus Osteuropa um. Nicht genug, sie materialisieren sich am Zeitungskiosk, sie werden zur realen Gefahr.
Mit der Streichung des 'Sputnik' vom Postzeitungsvertrieb und dem offenen Aus für populäre sowjetische Filme ist eine neue Stufe erreicht. Wenn überhaupt noch eine Logik und nicht nur blinde Angst das Handeln der Verantwortlichen diktiert, müßte dem 'Sputnik'-Ende ein Verbot der gesamten Glasnost-Presse folgen. Irgendwann bliebe dann nur noch, das „Haus für sowjetische Kultur und Wissenschaft“ zu schließen, die 'Prawda' zu verbieten und eine Bannmeile um die sowjetische Botschaft zu ziehen.
Hinter all der Panik steht das Wunschdenken der konservativen Führungsriege: Es möge sich doch nur um Gespenster handeln, die möglichst bald wieder verschwinden und den alten Machtverhältnissen Platz machen. Lieber Umweltzerstörung, Flucht und Ausreisedruck und eine marode Wirtschaft in Kauf nehmen, als irgend etwas Grundlegendes ändern. Neuen Realitäten wird man aber mit alten Weigerungen nicht ewig begegnen können.
Wolfgang Templin
(Initiative Frieden und Menschenrechte, DDR), zur Zeit Bochum
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