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GASTKOMMENTARGefahren und Chancen

■ Zum neuesten Waffenstillstand in Jugoslawien

Der fünfzehnte Waffenstillstand hat endlich eine Chance. Das neueste Abkommen ist besser, das heißt präziser formuliert worden (zum erstenmal hat man ausdrücklich die „Reaktionen auf die Provokationen der anderen Seite“ verboten). Wenn der Waffenstillstand bis zum Beginn der nächsten Runde der Jugoslawien-Konferenz am kommenden Donnerstag andauern wird, hätte man die schwierige Anfangsperiode überwunden und gleichzeitig wäre man auf ein politisches Gleis geraten. Nachdem nicht mehr geradezu normal wäre, daß jede Stunde neue Opfer bringt — und damit neue seelisch Verletzte, das heißt weiter für eine Revanche bereite Menschen —, hätte auch der Friedensprozeß bessere Aussichten.

Das Grundproblem liegt aber darin, daß das neueste Waffenstillstandsabkommen mit dem Plan für die Intervention von UNO-Truppen in Kroatien und Bosnien-Herzegowina verbunden ist. Und dieser Plan hat etwas Wesentliches beiseite gelassen: Die Frage der Souveränität über die Gebiete, die bald schon unter UNO-Kontrolle stehen könnten. Es ist ganz klar, daß UNO-Truppen keine politischen Veränderungen herbeiführen sollen, d.h. die Organe der vorwiegend von Serbien besiedelten Krajina werden weiterhin funktionieren. Aber wenn nicht festgehalten wird — wenigstens in einer Proklamation —, daß es sich um ein Territorium Kroatiens handelt, so kann dies nur zu weiteren kriegerischen Auseinandersetzungen führen.

Denn erstens war die Souveränität die Frage, mit der der Krieg begonnen hat, und deshalb kann diese Frage nicht einfach ausgeklammert werden. Zweitens dürfen auf keinen Fall die Früchte der Aggression auch noch durch UNO-Truppen geschützt werden. Drittens wird die kroatische Seite früher oder später merken müssen, daß zunächst einmal mehr als 30 Prozent des Territoriums verloren gegangen ist (fast 20 Jahre UNO-Intervention auf Zypern haben faktisch eine neue Grenze geschaffen). Dann aber könnte die Politik in Kroatien auf Konkurrenz verschiedener rechtsradikaler irredentistischer Fraktionen reduziert werden.

Die Frage nach der Möglichkeit eines demokratischen kroatischen Staates sind also tatsächlich mit diesen Territorialfragen verbunden. Gewiß ist auch die territoriale Integrität Kroatiens keine endgültige Garantie für die demokratische Weiterentwicklung, aber ohne sie hat Demokratie keine Chance. Erste Opfer werden fast mit Sicherheit die Serben in Kroatien sein, und es gibt leider jetzt schon Anzeichen, die für diese graue Perspektive sprechen. Aber letztlich werden alle Opfer solcher nicht auszuschließenden Ereignisse werden. Und da kommt als äußerst wichtige Instanz auch die deutsche Rolle ins Spiel. Denn Deutschland hat sich als europäische politische Macht in der kroatischen Krise — und in der Frage der Anerkennung Kroatiens und Sloweniens — behaupten können. Jetzt kommt aber die Zeit, in der es sich als demokratische Macht behaupten muß. Und zwar im Sinne der anerkannten Verantwortung nicht nur für die Souveränität neuer Staaten, sondern für ihre demokratische Souveränität. Und das wird sich in Deutschland höchstwahrscheinlich nicht nur als außenpolitische, sondern auch als innenpolitische Frage erweisen. Kroatien aber braucht nicht Hilfe, weil seine Staatsbürger unmündig sind, sondern damit die Kroaten, anstatt in der Situation der Opfer der Aggression zu leben (und zu sterben), endlich mal für die eigene Situation, die Situation der Nachbarn und besonders die der Minderheiten verantwortlich werden können. Zarko Puhovski

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