G8-Gipfel in Toronto: Merkel in der Mangel
Die Kanzlerin kann sich kaum mit ihren Vorschlägen durchsetzen. Die Finanzmarktregulierung wird verschoben, die Finanztransaktionssteuer kommt allenfallls in Europa.
TORONTO taz | In der Vergangenheit waren Gipfeltreffen Angela Merkels liebste Bühne. Fernab vom heimischen Parteienstreit ging es auf dem internationalen Parkett stets ums große Ganze. In Gleneagles wurde die Überwindung der Armut zum Programm der G 8 erhoben. In Heiligendamm schaffte es der Klimaschutz auf die Agenda der Staatschefs. In London und Pittsburgh brachten die G-20-Staaten entschlossen klingende Programme gegen die Finanzkrise auf den Weg.
Auch an diesem Wochenende hätte die Kanzlerin eine Ablenkung vom deutschen Parteienstreit um Sparprogramme und Steuerpolitik gut gebrauchen können. Doch weder im beschaulichen Ferienort Huntsville noch im abgeriegelten Konferenzzentrum von Toronto war ihr diese Erholung gegönnt; stattdessen ging der Streit um die Finanzpolitik auf globaler Ebene weiter.
Nur dass die Opposition dort eine Nummer größer war: US-Präsident Barack Obama und sein Finanzminister Timothy Geithner hatten im Vorfeld des Gipfels offen Kritik an den europäischen Sparbemühungen geübt. Diese kämen zu früh und gefährdeten das weltweite Wachstum, argumentierten sie und forderten eine expansive Haushaltspolitik, um mit staatlichen Ausgaben den privaten Nachfrageeinbruch auszugleichen. Unterstützt wurde diese Position etwa von Brasilien. Merkel blieb hart: "Deutschland hat sich für einen Kurs entschieden, den ich für vernünftig halte", sagte sie in Huntsville.
Das Versprechen der G-8-Staaten von Gleneagles bleibt unerfüllt. 50 Milliarden Euro wollten sie bis 2010 zur Bekämpfung der weltweiten Armut zusätzlich zur Verfügung stellen, hatten sie 2005 beim Gipfeltreffen in Schottland zugesagt. Geflossen sind davon nur 30 Milliarden Euro. Beim Treffen in Toronto wurde das Ziel aufgegeben: Anders als in den Vorjahren wird die Zusage im Abschlussdokument der G 8 nicht mehr erwähnt. Hilfsorganisationen hatten gefordert, die fehlenden Mittel bis 2012 nachzureichen.
Enttäuschend fiel auch die entwicklungspolitische Initiative des Gipfels aus. Mit der nach der Austragungsregion benannten Muskoka-Initiative sollte die Mütter- und Säuglingssterblichkeit deutlich reduziert werden. Im Rahmen der Millennium-Entwicklungsziele hatte sich die Weltgemeinschaft vorgenommen, bis zum Jahr 2015 die Sterblichkeit von Kindern unter fünf Jahren um zwei Drittel und die von Müttern um drei Viertel zu verringern. Dafür sind nach Schätzung der Vereinten Nationen in den nächsten Jahren rund 30 Milliarden Dollar zusätzliche Mittel notwendig, von denen die G-8-Staaten gemessen an ihrer Wirtschaftsleistung 24 Milliarden übernehmen müssten.
Um die Initiative in Fahrt zu bringen, kündigte Kanadas Ministerpräsident Steven Harper eine an der Größe des Landes gemessen ordentlichen Beitrag an: 1,1 Millarden Dollar an zusätzlichen Entwicklungshilfegeldern will das Land in den nächsten Jahren bereitstellen. Und er drängte die anderen offensiv dazu, es ihm gleichzutun: "Wenn nicht die Länder mit den meisten Mitteln sich den dringendsten Fragen des Globus zuwenden, wer soll es sonst tun?" Doch die Hoffnung wurde enttäuscht. Nur 5,9 Milliarden US-Dollar wollen die G-8-Staaten insgesamt bereitstellen, teilte Harper nach dem Treffen mit. Neben den 1,1, Milliarden von Kanada stammen weitere 1,3 Milliarden Dollar von den USA. Deutschland will sich über die nächsten fünf Jahre mit insgesamt 400 Millionen Euro beteiligen - was im Vergleich zu anderen Staaten deutlich weniger wäre, als der deutschen Wirtschaftskraft entspricht. MKR
In diesem Punkt immerhin konnten die Europäer ihr Gesicht wahren: Zunächst war beim G-8-Gipfel nur ein Formelkompromiss gefunden worden, der die Bedeutung von Wachstum und der Eindämmung der Defizite als gleichermaßen wichtig einstufte. Der G-20-Gipfel ging weiter: Die Teilnehmer haben sich nach Aussage von Angela Merkel in der Abschlusserklärung darauf geeinigt, dass die Haushaltsdefizite der "fortgeschrittenen Volkswirtschaften" bis zum Jahr 2013 halbiert werden sollen. Weiter sei vereinbart worden, dass ab dem Jahr 2016 mit dem Abbau der Schulden begonnen werden solle. "Das heißt, dass die Länder dann ausgeglichene Haushalte haben sollen, um den Gesamtschuldenabbau in den Blick nehmen zu können", fügte Merkel hinzu.
Das war es denn auch schon mit der Einigkeit. Bei anderen Themen, die Merkel im Vorfeld als zentral bezeichnet hatte, herrschte Stillstand - oder eine offene Blockade. Über stärkere Regulierung der Finanzmärkte, etwa verschärfte Eigenkapitalpflichten für die Banken oder neue Regeln für Hedgefonds und Ratingagenturen, soll nun erst beim nächsten G-20-Gipfel im Herbst in Südkorea entschieden werden. Auch Schwellenländer, die die Entwicklung ihrer eigenen Finanzmärkte nicht beschränken wollen, gehörten hier zu den Bremsern.
Die Verschiebung der globalen Macht hin zu den kleineren Staaten war auch an anderer Stelle zu spüren. Obwohl Europa und die USA darauf drängten, gab es keine Einigung auf eine international koordinierte Bankenabgabe, mit der Vorsorge für künftige Krisen betrieben werden soll - Staaten wie Kanada, Australien und Brasilien, deren Banken in der Finanzkrise kaum Probleme hatten, wiesen diesen Vorstoß zurück.
Noch schlechter lief es bei der Finanztransaktionssteuer, die sich Merkel nach langem innenpolitischen Streit offensiv zu eigen gemacht hat: In dieser Frage standen die Europäer schon innerhalb der G 8 weitgehend allein; bei der G 20 galt der Vorstoß darum als chancenlos. Hier blieben noch "dicke Bretter zu bohren", sagte die Kanzlerin. Resignieren will sie allerdings nicht - sondern nun auf europäischer Ebene für die Einführung kämpfen. Sie sei sich mit Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy einig, "dass wir dies auch, falls wir keine gesamteuropäische Initiative hinbekommen, in der Eurozone ausprobieren würden und uns dafür einsetzen werden", sagte Merkel in der ARD.
Ebenfalls nicht punkten konnte die Kanzlerin beim Thema Armutsbekämpfung. Während Deutschland bei finanziellen Zusagen in der Vergangenheit stets großzügig war, trat Merkel diesmal auf die Bremse und machte nur minimale Zusagen (siehe Kasten). Ob sie dabei internationales Renommee verliert, war für Merkel offenbar zweitrangig. Der Gipfel ist schließlich nach wenigen Stunden vorbei - doch die Haushaltsverhandlungen in Berlin gehen gerade erst los.
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