G 7-Gipfeltreffen als Zombiefilm: Weltpolitik in Schräglage
In „Rumours – Tanz der Titanen“ von Guy Maddin, Evan Johnson und Galen Johnson stoßen Staatschefs bei einem Gipfeltreffen auf onanierende Moorleichen.

Verschiedene Spielarten von Seltsamkeit im Film zu beschreiben, ist nicht leicht. Das betont Skurrile wirkt oft gewollt. Und in seiner im mittelschlimmen Fall betonten, im schlechtesten Fall krampfhaften Abgrenzung vom Geläufigen ist es oft enger und kontrollierter als das, wovon man vorgeblich wegwill.
Was forciert anders sein will, wird dann selbst schnell klischeehaft. Und dann gibt es immer wieder Filme, die tatsächlich anders funktionieren als das, was sonst so in der Filmgeschichte gang und gäbe ist.
„Rumours“, der leider den deutschen Verleihtitel „Tanz der Titanen“ erhalten hat, ist so ein Beispiel. Dass er nicht im genannten Sinne verkrampft wirkt, mag auch daran liegen, dass es dem kanadischen Regisseur Guy Maddin in seinem Werk nicht um den Bruch mit filmischen Konventionen geht.
Gelöst-absurdes Kino
Im gelöst-absurden Kino Maddins werden Verschiebungen vorgenommen und Schräglagen hergestellt. Schräg- und Schieflagen, um auf ihnen das Geschehen mitsamt Zuschauerin und Zuschauer in Seltsamkeiten rutschen zu lassen. Um mal ein selbst schon schiefes Bild zu bemühen.
„Rumours – Tanz der Titanen“. Regie: Guy Maddin, Evan Johnson, Galen Johnson. Mit Cate Blanchett, Charles Dance u. a. Kanada/Deutschland 2024, 104 Min.
Wenn etwas angeschrägt und ins Rutschen gebracht werden soll, ist es gut, wenn der Ausgangspunkt ein konventioneller und vertrauter ist. Guy Maddin nimmt in seinen Filmen, die sich immer wieder mit Elan durch die Filmhistorie zitieren und auf der Schwelle zwischen Spiel- und Essayfilmen wohnen, gerne etablierte Muster und Traditionen her. Diese lässt er ins Abseitige kippeln, bis sie stürzen. Im Falle von „Rumours“ sind das der Horror- beziehungsweise Zombiefilm und der Politthriller.
Der Plot ist schon einmal schön doof: Die G7-Anführer*innen treffen sich im deutschen Erholungsort Dankerode zum Gipfel, um eine – es ist von der ersten Minute an klar – sturzlangweilige und auch komplett wirkungs- und bedeutungslose Erklärung zu einer nicht näher definierten Krise zu verfassen. Zentrale Figur ist eine deutsche Kanzlerin mit Vornamen Hilda, gespielt von einer routinierten Cate Blanchett im Angela-Merkel-Kostüm.
Knalltüten-Ensemble in Vollendung
Es ist ein formvollendet-brütendes Knalltüten-Ensemble, das Maddin mit seinen beiden langjährigen Co-Regisseuren Evan Johnson und Galen Johnson hier auffährt. Der kanadische Regierungschef laboriert melancholisch an einer Sinnkrise herum, der italienische Ministerpräsident ist ein eilfertiges Würstchen, die britische Premierministerin die ewig Klassenbeste, der US-Präsident ist alt und findet die Idee, zu sterben, nicht mehr allzu bedrohlich. Irgendwann gesellen sich Untote, die der leichenfetten deutschen Erde entsteigen, dazu, Moorleichen, die erst einmal gemeinsam onanieren.
Die Staatschefs versuchen, auf sich allein gestellt, die immer bedrohlicher wirkende Moorlandschaft zu verlassen, der französische Präsident wurde außerdem bereits infiziert. Die bizarren Vorgänge werden hier durch ein konstantes Schweben hervorgehoben, wenn man so sagen kann.
Alles bleibt immer verankert im Genre und in einer klar definierten Figurenkonstellation, und trotzdem macht sich in „Rumours“ spätestens nach einer halben Stunde der in einem Genrefilm der anders als in der Welt außerhalb des Kinos ja eigentlich recht angenehme Eindruck breit, dass in jeder Minute wirklich alles passieren kann.
Romantisches Dreieck
Und so geht das dann auch los und weiter, ohne dass „Rumours“ effekthascherisch oder transgressiv auftrumpfen würde. Die Staatenlenker finden ein Riesengehirn und vermuten zuerst noch ominöse Protestler als Ursache ihrer Misere. Das Gehirn wird abgefackelt, der US-Präsident legt sich zum Sterben nieder, es entsteht ein romantisches Dreieck zwischen Deutschland, Großbritannien und Kanada. Eine der Figuren äußert den Verdacht, der auch der des Zuschauers ist, nämlich, dass das alles irgendwie allegorisch oder metaphorisch zu verstehen sei.
Das geht allerdings auch nicht auf, nichts in den Länderbeziehungen stimmt, und es entsteht ein Bild, in dem das Politische in seiner jetzigen Form zur Gänze abstrus erscheint. Bis hin zum wirklich nicht nur maximal obszönen und denkwürdigen, sondern auch einfach schönen Schlussbild, in dem der kanadische Premierminister eine durch und durch bekloppte Rede vor dem brennenden Himmel hält, mit allem Pathos, während die Untoten tun, was sie in diesem Film nun einmal tun.
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