: Fußvolk voran!
■ Die AmsterdamerInnen haben mit knapper Mehrheit entschieden: Autos raus!
Fußvolk voran! Die AmsterdamerInnen haben mit knapper Mehrheit entschieden: Autos raus!
Bravo. Unsere in vielen gesellschaftspolitischen Fragen liberaleren niederländischen Nachbarn haben uns wieder einmal vorgemacht, wie Fortschritte auf demokratischem Wege erreicht werden können: Nach einem Jahr heftiger Diskussion hat sich eine (knappe) Mehrheit der 600.000 stimmberechtigten AmsterdamerInnen für die autofreie Innenstadt entschieden. Hätten die vom Autoverkehr besonders betroffenen Kinder mitstimmen dürfen, wären es wohl mehr gewesen. Amsterdam braucht gar nicht lange allein zu bleiben: Wenn deutschen Meinungsumfragen zu glauben ist, würden Abstimmungen in bundesrepublikanischen Großstädten nicht viel andere Ergebnisse ergeben.
Das Procedere der Holländer ist nachahmenswert, scheint doch der Plebs in Umweltfragen der politischen Klasse um einige Längen voraus. Vor mehr als einem Jahrzehnt entschieden die Österreicher nach langer öffentlicher Diskussion mit knapper Mehrheit und sehr zum Erstaunen ihrer Oberen, daß sie ihr einziges Atomkraftwerk nicht ans Netz lassen wollten. Dabei ist es bis heute geblieben. Nun vertritt die österreichische Regierung auch offiziell eine Ausstiegspolitik.
Seit Jahren mehren sich in der Verkehrspolitik die Hinweise, daß die Politiker dem Willen der Bevölkerung hinterherhinken. Repräsentative Befragungen von Bürgern, Bürokraten und Politikern ergeben immer wieder das gleiche Bild: Die Bevölkerung ist in ihrer großer Mehrheit für eine Sperrung der Innenstädte, während Bürokraten, Stadtväter und auch Journalisten einfallslos vor sich hinstoppeln.
Die Angst vor den einflußreichen Kaufleuten der Innenstadt ist dabei häufig größer als die vor einkaufenden Familien, die auf das Auto hinter dem Schuhladen nicht verzichten wollen. Familien, das sind Erwachsene und Kinder, und Kinder sind bevorzugte Verkehrsopfer in der Innenstadt. Weil Stadtväter pennen, haben Väter, Mütter und Kinder inzwischen sogar angefangen, Straßen zu besetzen.
Der Fanclub der lackierten Kampfhunde führt an dieser Stelle regelmäßig die Unreife der WahlbürgerInnen als Argument vor. Es sei leicht, bei solch einer Abstimmung mit Ja zu stimmen. Kämen dann die Konsequenzen, würde die Mehrheit ins Maulen kommen und das Auto zurückhaben wollen. Das könnte sein. Das aber ist ein Problem aller Wahlen und Abstimmungen unserer repräsentativen Demokratie. Auch Politiker verfügen über keine bessere Legitimation. Schließlich soll es auch schon vorgekommen sein, daß die Wahlbürger und -bürgerinnen die eigene Entscheidung bei der letzten Wahl klammheimlich bereut haben. Die Abstimmung von Amsterdam jedenfalls ist ein starkes Argument für eine populäre Verkehrspolitik. Und populär ist — die autofreie Innenstadt. Hermann-Josef Tenhagen
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