Fußpflege unter der Grasnarbe : Kicken wider den Rassismus
Dass man die Vokabeln fantastisch und traumhaft fast inflationär hört, liegt nur bedingt am außerordentlich schönen Osterwetter. Die Sonne scheint nach besten Kräften über das Trainingsgelände des FC St.Pauli, doch sie ist nicht die Einzige, die strahlt. „Wenn über 300 Leute sehen, dass sie nicht alleine dastehen, bekommen sie auch Kraft und Mut“, freut sich Heiko Schlesselmann für den „ein jahrelanger Traum“ in Erfüllung gegangen ist. Schlesselmann vom Fan-Laden des FC St.Pauli ist einer der Organisatoren des antirassistischen Fußballturniers, das am Osterwochenende mit 29 Teams und 350 Kickern aus neun Ländern in Hamburg stattfand. Ohne Schiedsrichter, dafür aber mit einem reichhaltigen Begleitprogramm. Neben einem Ska-Konzert findet eine Hafenrundfahrt zu den Einsatzorten jüdischer Zwangsarbeiter im Zweiten Weltkrieg statt, eine Zeitzeugin berichtet vom Widerstand ihrer Eltern in der NS-Zeit.
Antirassistische Fan-Gruppen sollen im Hinblick auf die EM 2004 in Portugal und die WM 2006 in Deutschland europaweit vernetzt werden, um dem steigenden Rassismus in den Stadien entgegenzutreten. „Das Festival ist fantastisch“, begeistert sich Borja Varono vom Athletic-Bilbao-Fanclub „Herri Norte Taldea“ und ist zunächst vom Hamburger Wetter angenehm überrascht: „Bei unserer Abfahrt hat‘s in Bilbao noch geschneit.“ „Bei uns wird sehr viel über St.Pauli geredet“, berichtet der Baske aus Getxo, „wir teilen viele Ideen“. Regelmäßige Besuche von Fan-Gruppen halten den engen Kontakt aufrecht – sein Club galt in der Franco-Ära als renitent, Varonas Fanclub unterstützt die baskische Unabhängigkeitsbewegung.
„Wir wollen das Spiel im Geist des Sports leben“, erklärt Andrea Price. Die englische Journalistin ist die Nummer 14 im Frauenteam der sozialistisch-interkulturellen „Republica Internationale“ aus Leeds. „Freedom through Football“ lautet das Motto des 1983 gegründeten Freizeitfußball-Vereins, der auch Beziehungen zu den mexikanischen Zapatisten unterhält. Am zweiten Turniertag helfen aber alle „Come on, you Reds“-Anfeuerungsrufe nichts. Gegen die Frauen von „Roter Stern Leipzig“, die kurzerhand ihre Hamburger Quartierswirtin als Torwächterin requiriert haben, verliert das Team aus Leeds mit 0:2. Am Rand albern einige Kicker von „Forca Llevant“ aus Valencia herum und rufen wenig Schmeichelhaftes über die Abstammung von Spaniern aufs Spielfeld.
Die Männer von Republica Internationale sind erfolgreicher. Im Endspiel schlagen sie die Prager „Bohemians Banditos“ im Elfmeterschießen und bekommen von St. Paulis Vizepräsidenten Marcus Schulz einen riesigen Pokal überreicht. Die beiden besten zu St.Pauli haltenden Teams erwiesen sich als gute Gastgeber. Der Fanclub-Sprecherrat und das Fan-Magazin „Der Übersteiger“ deklarieren ihr Halbfinale zum Spiel um Platz drei, so dass die andere Begegnung zwischen Leeds und Prag zum Finale aufsteigt. Für ihre Niederlage werden die Tschechen reich belohnt. Der zweite Preis ist ein von Babelsberger Fans des „Filmstadtinferno 99“ mit viel Plastik und noch mehr Liebe gebasteltes Modell ihres Karl-Liebknecht-Stadions.
Folke Havekost