Fußballshopping: Zum Stadion, Mantel kaufen
In der Schweiz werden Stadien meist nicht durch Steuermittel finanziert. Einkaufszentren schaffen Abhilfe.
D en deutschen Fußballpuristen mögen die Stadionbesuche dieser Tage in der Schweiz etwas merkwürdig erscheinen. Denn der Fußball spielt in den Stadionbauten von Basel, Bern, Genf, Luzern, St. Gallen und Thun eher nur so eine mittelwichtige Rolle. Ein integriertes Einkaufszentrum braucht es mittlerweile schon, bevor in der Schweiz ein Stadion gebaut wird.
So könnte es schon sein, dass an diesem Mittwochmorgen in St. Gallen folgendes Küchengespräch stattgefunden hat: „Wir brauchen doch eh noch ein neues Bücherregal, dann gehen wir danach rüber und schauen uns Wales gegen England an.“ In der Arena von St. Gallen können die Fußballerinnen dieser Tage von der Interviewzone aus, die die Uefa markiert hat, das Nachbargebäude des weltweit größten Möbelherstellers sehen.
Im Joggeli, wie die Basler ihr Stadion nennen, sind neben dem Einkaufszentrum, das 32 Shops und 2 Restaurants beherbergt, noch eine Altersresidenz und Büroflächen neben dem Stadion untergebracht. Mantelnutzung nennen die Schweizer das. Dadurch wird der ganze Komplex erst rentabel. Verrückt. In der Schweiz ist man tatsächlich der Ansicht, Fußball müsse sich rechnen. Das muss doch spätestens den Stadtkämmerern in Kaiserslautern, Berlin, Dresden und an vielen anderen Orten in Deutschland die Sprache verschlagen, wo Millionen von Steuergeldern zumindest für die Instandhaltung der Arenen Jahr für Jahr ausgegeben werden.
Für die Schweizer wiederum ist ein reines Fußballstadion ein Unding. In Zürich, wo die beiden Spitzenvereine sich das Leichtathletikstadion teilen, müht man sich seit Ewigkeiten um den Neubau einer Fußballarena ohne Tartanbahn. Drei Volksentscheide hat es bereits gegeben. Der aktuelle Entwurf, der eine Mehrheit hinter sich bringen konnte, hat zur Querfinanzierung des Stadions zwei angrenzende 137 Meter hohe Hochhäuser mit Mietwohnungen vorgesehen. Wegen diverser Störmanöver verzögert sich der Baubeginn dennoch stetig. Die Errichtung von Fußballstadien ist trotz fantasiereicher Ummantelungsstrategien hier wahrlich kein Selbstgänger.
Interessanterweise gab es auch in Deutschland Zeiten, in denen auf ganz eigene Weise über mehr Rentabilität nachgedacht wurde. Karl-Heinz Rummenigge sinnierte im Jahr 1989 in einem Interview mit dem Spiegel über ein eingebautes Einkaufszentrum in einem neuen FC-Bayern-Tempel. Die Vorzüge dieser Idee schienen ihm sonnenklar: „Die Frau, die überhaupt kein Interesse am Fußball hat, geht in der Zeit einkaufen, guckt sich Geschäfte an, macht, tut, was sie will. Das Kind, das auch kein Interesse hat, geht ins Kino … Und der Vater geht zum Fußball und trifft sich um 17.30 Uhr mit der Mutter wieder an Punkt X und fährt nach Hause. Und alle drei sind glücklich und zufrieden und haben einen wunderbaren Samstag ohne Streit.“ Erstaunlich eigentlich, dass der FC Bayern das bis heute noch nicht umgesetzt hat.
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