Fußballprofi mit Herzfehler: Die Furcht bleibt
Der Niederländer Daley Blind spielt seit 2019 mit einem implantierten Defibrillator. Deshalb geht ihm der Herzstillstand des Dänen Eriksen so nah.
Es waren keine Tränen der Freude, die Daley Blind vergoss, als er beim 3:2-Sieg der Niederländer gegen die Ukraine nach seiner Auswechslung in der Umarmung von Trainer Frank de Boer versank. Der erfahrene Abwehrchef von Ajax Amsterdam konnte zwar glücklich sein über ein mitreißendes Fußballspiel und eine 2:0- Führung, die sein Team in den Minuten zuvor herausgestürmt hatte. Aber all das spielte nur eine Nebenrolle bei den Emotionen, die nun hervorbrachen. Die Hauptursache für seine Rührung war eine sehr persönliche Verbindung zu Christian Eriksen, der am Tag zuvor auf dem Rasen von Kopenhagen aufgrund eines Herzstillstands zu sterben drohte.
Blind hat nämlich selbst schon erlebt, wie es ist, wenn das Herz auf dem Fußballplatz nicht mehr richtig funktioniert. „Was am Samstag passiert ist, hatte einen großen Einfluss auf mich“, sagt Blind, dem vor eineinhalb Jahren ein sogenannter Kardioverter-Defibrillator (ICD) in die Brust implantiert wurde, um ihn vor genau so einer gefährlichen Situation zu schützen, in die Eriksen hineingeraten war.
„Abgesehen davon, dass ich Christian als Freund gut kenne und die Situation für ihn schrecklich ist, habe ich auch schon einiges in diesem Kontext erlebt“, sagt Blind vor dem Spiel seiner Mannschaft gegen Österreich am Donnerstag, in dem die Elftal bereits ins Achtelfinale des EM-Turniers einziehen kann.
Von 2010 bis 2013 spielte er gemeinsam mit Eriksen bei Ajax, hielt auch später den Kontakt. Nach dem Schock vom Vorabend musste Blind vor dem EM-Einstieg der Holländer gegen die Ukraine lange ringen und „eine mentale Hürde überwinden“, um überhaupt zu spielen, erzählt er. Der Abend wurde zu einer Art Befreiung: „Ich bin stolz, dass ich es geschafft habe. Endlich kommt die Emotion raus“, sagt Blind.
Fehlalarm auf dem Platz
Dass irgendetwas nicht stimmt mit seinem Herz-Kreislauf-System, bemerkte er während eines Champions-League-Spiels von Ajax Amsterdam beim FC Valencia 2019. Er ließ sich mit Schwindelgefühlen auswechseln, weitere Untersuchungen ergaben, dass der Profi eine Herzmuskelentzündung hatte. Daraufhin wurde ihm der Defibrillator eingesetzt, ein Gerät, das Leben retten und Ängste vor einem Zusammenbruch lindern soll.
Daley Blind, Fußballer
Sobald sich die Herzfrequenz zu stark erhöht, sendet der ICD einen oder mehrere Stromstöße, um die Rhythmusstörung zu beheben. Danny Blind, Daleys Vater, der in den 1990er Jahren Teil der großen niederländischen Mannschaft mit Edwin van der Sar, Clarence Seedorf, Edgar Davids und Dennis Bergkamp war, hat im Fernsehen von den bedrückenden Gedanken erzählt, die so ein Herzproblem in der Familie erzeugt.
Sein Sohn lebe in ständiger Sorge. Im vorigen Dezember habe Daley ihn nach einem Champions-League-Duell beim FC Liverpool angerufen, um zu berichteten, dass er zum ersten Mal seit Monaten eine ganze Partie lang nicht an sein Herz gedacht habe. Ein Fußballspiel ohne Furcht vor Herzversagen war eine echte Besonderheit.
Diese Freiheit ist nach den Ereignissen um Christian Eriksen wohl erst mal verloren. „Natürlich hast du Angst, aber wir sind nie in Panik geraten, wir vertrauen den Ärzten“, sagt Vater Danny Blind. Doch die Furcht bleibt, zumal Daley Blinds Defibrillator in einem Testspiel im vergangenen Sommer gegen Hertha BSC plötzlich Stromstöße gesendet hatte.
Das Gerät hatte einen fehlerhaften Herzschlag festgestellt, was dem Fußballer einen gehörigen Schreck einjagte. Blind sank zu Boden, ließ sich behandeln. „Der ICD ging los, und gleich danach ging es ihm wieder gut. Wir werden einige Tests durchführen und auf die Ergebnisse warten und dann Entscheidungen treffen“, sagte sein Klubtrainer Erik ten Hag danach.
Blind konnte bald wieder spielen und ist damit ein Profiteur der modernen Medizin, vor zehn Jahren konnten die implantierten Geräte noch nicht zwischen einem gefährlichen Kammerflimmern und einem Puls unterscheiden, der einfach aufgrund einer dramatischen Schlussphase beim Fußball erhöht ist. Inzwischen geht das, aber Blind hätte sicher nichts dagegen, wenn gegen die Auswahl Österreichs ein Sieg ohne Drama in den finalen Minuten gelänge.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!