Fußballkommentator Tom Bartels: Das beste Sekundärereignis
Tom - wer? Tom Bartels heißt der Mann, der für die ARD das EM-Finale kommentieren wird. Das hat Gründe. Unter anderem diesen: Er ist gut.
Eine Geschichte über Tom Bartels geht so: Er hat zwei Kinder, drei und sechs Jahre alt, und auf dem Höhepunkt seiner Fußballkarriere spielte er im Mittelfeld des Turn- und Rasensportvereins Melle. Fünfte Liga in den Achtzigern und Neunzigern. Jetzt ist er für das Finale der Europameisterschaft gesetzt.
Die Geschichte der unwahrscheinlichsten Entwicklung: Miniaturamateur schafft es nach oben. Schön.
Eine andere Geschichte über Tom Bartels geht so: Tom wer? Tom wie? Irgendwas mit Fußball? Ach, richtig. Tom Bartels ist der Tom Buhrow des Fußballs? Moment. Wer ist Tom Buhrow?
Welche dieser Geschichten würde wohl Tom Bartels mehr interessieren? Wahrscheinlich wäre es die zweite. Denn Bartels ist kein großer Erzähler, kein Riesenabschweifer. Er ist Fußballkommentator, nicht weniger, aber eben auch nicht mehr. Als einer von zwei ARD-Kommentatoren, neben Steffen Simon, kommentiert er 15 EM-Spiele (u. a. heute: Kroatien - Türkei). Auch das Finale. "Dass ich das Endspiel bekommen habe, hat mich überrascht", sagt Bartels. "Aber ich bin ja auch nicht zur ARD gegangen, um nicht Fußball zu kommentieren."
In einem sind sich seine Arbeitgeber und viele Journalisten derzeit jedenfalls erstaunlich einig: Tom Bartels ist einer der besten seines Fachs. Zu den besten zu gehören, bedeutet: gut verständlich für bis zu 30 Millionen Zuschauer an den Fernsehern zu sein, die nicht auf dem Stand der Regelkunde sein mögen. Sätze mit Sinn zu bilden. Und für die Fachleute unter den Zuschauern Sachverstand zu beweisen. Lothar Gans jedenfalls, sein ehemaliger Fußballtrainer, heute Sportdirektor beim VfL Osnabrück, sagt über Bartels: "Alles, was er sagt, ist gut verständlich und hat Sinn und Verstand."
Natürlich hat Gans nicht die Meinung über Bartels gepachtet. Die Stuttgarter Nachrichten äußerten einmal den Verdacht, Bartels werde "pro Wort bezahlt". In einem Fußball-Blog heißt es, er könnte mal "mehr Schwafelpausen einlegen".
Aber irgendwas ist ja immer.
Tom Bartels selbst sagt: "Ich weiß, dass sich Leute an den Kopf fassen, wenn sie mich hören. Es gibt keinen Kommentator, bei dem sich die Leute nicht an den Kopf fassen." Kommentatorenkritik ist der Deutschen Lieblingssport, gleich nach Fußball. Bartels ist aber einer von denen, bei denen man manchmal vergisst, sich aufzuregen. Von der Kritik an fehlenden Schwafelpausen abgesehen, heißt es in besagtem Fußball-Blog etwa auch, es gebe "nichts zu bemängeln": "keine Spielerfrauenfrisuren, keine voreiligen Urteile bei strittigen Szenen und auch kein obszönes Herfallen über den Schiedsrichter bei einer klitzekleinen Fehlentscheidung".
Klingt fast, als hätte Bartels das selbst geschrieben. "Es ist nicht meine Art, persönlich zu werden", sagt er zum Beispiel. Oder das: "Ob Joachim Löws Klamotten stilsicher ausgewählt sind? Die Frage ist bei mir fast schon auf dem Index." Verboten wegen drohender Langeweile. Bartels spricht lieber über Spielsysteme, taktische Umstellungen, würde über die Frage sprechen, was die deutsche Mannschaft der niederländischen auf dem Platz entgegensetzen könnte, wenn sie aufeinander träfen. Bartels ist Fußballkommentator, nicht Modeberater. "Ich sage, was ich zu Hause vor dem Fernseher gerne hören würde", sagt er. "Ich ticke halt so. Ich bin mit dem Sport groß geworden, ich habe mich immer für dieses Spiel interessiert." Und er könne, sagt er, "nicht aus seiner Haut".
Aus irgendwelchen Gründen, ist Bartels über all den Fußballspielen, den Skisprung- und Schwimmwettkämpfen, die er kommentiert hat, einer großen Öffentlichkeit nie richtig aufgefallen. Doch um es mit einem DSF-Sportkommentator zu sagen: "Das macht er wie ein alter Hase. Kein Wunder. Er ist ein alter Hase."
Der vermeintlich Neue ist lange im Geschäft. Bartels arbeitete zehn Jahre bei RTL und Premiere, war vorher beim WDR und SDR. Nach der Weltmeisterschaft 2006 kehrte er in die ARD zurück. Was also ist neu an ihm, abgesehen von: nichts?
Tom Bartels übt eine Tätigkeit aus, die im Idealfall niemandem auffällt. Schlimmer als ein nervtötender Fußballkommentator sind nur ein einschläfernder und gar kein Fußballkommentator. Bartels ist Fachkommentator, mit kleinen Ausflügen in die Welt jenseits des Platzes. Aber was zählt, ist - richtig: aufm Platz.
Der Beruf des Fußballreporters- und -kommentators ist ein gutes Beispiel dafür, dass Aufmerksamkeit schaden kann. Johannes B. Kerner? Kennt jeder. Kocht. Talkt. Expertet. Dementsprechend heftig sind die Verrisse. Kerner zum Beispiel ist ein Primärereignis. Kommentatoren aber sind die Sekundärliteratur eines Fußballspiels. Lesen kann man es als Zuschauer auch selbst. Wenn man es kann.
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