Fußball: Türkiyemspor wieder am Ball
Der Verein steht vor dem Neustart: Er darf trotz laufenden Insolvenzverfahrens in der Berliner Liga spielen - mit einer Mannschaft jedoch, die ihn keinen Cent kostet.
Während die Konkurrenz bereits die ersten Testspiele für die neue Fußballsaison vorbereitet, steht bei Türkiyemspor lediglich fest, dass der Verein noch existiert. Das kommt jedoch einer Erfolgsmeldung gleich – nachdem der Club zu Jahresbeginn Insolvenz anmelden und die erste Männermannschaft aus dem laufenden Spielbetrieb der Amateur-Oberliga zurückziehen musste. Jetzt hat der Berliner Fußball-Verband (BFV) Türkiyemspor trotz laufenden Insolvenzverfahrens für die kommende Spielzeit in die Berlin-Liga aufgenommen. „Wir danken dem BFV und freuen uns auf die spannende Liga“, sagt Aufsichtsratschef Robert Schaddach.
Nach dem Absturz
Türkiyemspor steht nach dem jähen sportlichen und wirtschaftlichen Absturz vor einem kompletten Neustart. Der viel zu große Jahnsportpark in Prenzlauer Berg wurde als Spielstätte aufgegeben. In der sechstklassigen Berlin-Liga zieht Türkiyemspor zurück in den Viktoriapark in Kreuzberg, wo der Club in den 1980er Jahren auch überregionale Erfolge feiern konnte. An alter Spielstätte übernimmt Bülent Gündogdu das Traineramt bei Türkiyem – ein großer Name aus der glorreichen Epoche des Vereins. Unter ihm errangen die Kreuzberger einst den Berliner Amateurpokal.
Das jedoch ist Geschichte, die Zukunft sieht weniger rosig aus. „Wir beginnen wieder bei null“, erklärt Fikret Ceylan, der neue Manager, der jetzt vom Regionallisten Berliner AK zu seiner „alten Liebe“ Türkiyem zurückgekehrt ist, um Pionierarbeit zu leisten. „Unser Etat für die nächste Saison beträgt null Komma null Euro. Wir dürfen wegen des Insolvenzverfahrens gar kein Geld bewegen. Wir müssen also eine Mannschaft zusammenstellen, die kein Geld kostet“, sagt Ceylan.
Für Trainer und Manager bedeutet das, dass sie aus dem Nichts ein konkurrenzfähiges Team formen müssen – eine schier unlösbare Aufgabe. Wer in der höchsten Fußballstaffel der Hauptstadt mithalten will, muss eigentlich einige Euro für gute Spieler lockermachen. Aus dem eigenen Nachwuchsbereich, der immer wieder hoffnungsvolle Talente für den Seniorenbereich ausbildete, ist bei Türkiyem vorerst nichts zu erwarten. Ceylan: „Die A-Jugendlichen, die in den Herrenbereich kommen, sind alle weg.“ Sie sind wohl dem Ruf des Geldes gefolgt, der am Kreuzberg in naher Zukunft nicht mehr ertönen wird.
Die Pioniere im Viktoriapark sind Experten genug, um zu wissen, dass das kommende Spieljahr zu einer sportlichen Horrorsaison werden könnte. Diese gelte es zu überstehen. „Wir werden es schaffen“, beteuert der Manager. Danach hofft man am Kreuzberg auf einen zweiten Neustart, diesmal mit Geld und ohne Insolvenzverwalter.
Voraussetzung ist allerdings, dass das aktuelle Insolvenzverfahren zu einem guten Ende kommt. Angeblich drücken den Club Altlasten von rund 600.000 Euro. Die Gläubiger warten auf ein Angebot Türkiyem, bevor sie einem Vergleich zustimmen, der das Damoklesschwert entschärft, das über dem Club schwebt. Es heißt, Türkiyemspor peile eine Rückzahlungsquote von 5 bis 10 Prozent der ursprünglichen Einlagen an. „Wir versuchen, Gelder zu akquirieren, um die Gläubiger zufrieden zu stellen“, berichtet Harald Aumeier, ein Mitarbeiter von Türkiyems Mediateam. Seit sechs Wochen läuft die Sammelaktion unter Fans und Gönnern. Bisher seien rund 5.000 Euro zusammengekommen.
Angesichts der Schuldenlast und der erhofften Rückzahlungsquote für die Gläubigerschar liegt jedoch noch ein weiter Weg vor den Kreuzbergern. Mindestens das Achtfache solle bei der Sammelaktion zusammenkommen. „Das müssten wir schaffen“, sagt Aumeier. Er weiß aber auch, dass die traditionell spendable Sponsorenschaft nicht mehr wie früher die Geldbörsen öffnet. „Die türkischen Geschäftsleute können auch nicht mehr“, erzählt Aumeier. Es wurde eben viel Porzellan zerschlagen bei Türkiyemspor, die Misswirtschaft der vergangenen Jahre hat Misstrauen erweckt unter den Anhängern. Auch da muss der Club nun einen Neustart wagen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Israel und Hisbollah
Waffenruhe tritt in Kraft