Fussball: Nüchternheit als Erfolgsmodell
Nach außen wirkt Herthas Trainer Luhukay ein bisschen dröge. Etwas Besseres konnte dem Klub nicht passieren.
Er taugt nicht sonderlich zum Popstar, dieser kleine Mann, den sie in Fankreisen JLu nennen. Der Oberlippenbart ist immer korrekt gestutzt, und wenn die Lippen darunter zu reden beginnen, dann reden sie ausschließlich über Fußball. Im aufgescheuchten Hertha-Zirkus wirkt der 1,67 Meter große Fußballlehrer Jos Luhukay manchmal etwas deplatziert: Nüchtern, sachlich, unaufgeregt diktiert er in die Blöcke der Reporter. Aber Luhukay scheint ein Glücksfall für Hertha zu sein – er ist die mit Abstand wichtigste Figur beim Unternehmen Wiederaufstieg.
Für dieses Vorhaben war das 0:0 gegen den Tabellensechsten Ingolstadt am Freitag kein Rückschritt. Hertha kann zufrieden sein mit dem bisherigen Saisonverlauf, auch wenn das Team nun als Tabellenzweiter sieben Punkte Rückstand auf Ligaprimus Braunschweig hat. Seit zehn Spielen ist Hertha ungeschlagen, nur sechs Gegentore kassierten die Berliner in diesen Begegnungen. Das Team ist derzeit nur schwer zu besiegen und setzt damit die forsche Ansage des Trainers vor einigen Wochen um: „Ab Oktober sind wir unschlagbar!“ Bislang behält der 49-Jährige damit recht. Das nächste Ziel ist nun Platz eins.
Luhukay ist ein Mann der langen Distanz, ein ausdauernder Trainer. Als er den FC Augsburg trainierte, hat sich die Mannschaft während beider Spielzeiten weiterentwickelt. Das scheint auch in Berlin zu gelingen. „Die Arbeit dauert die ganze Saison, die darf man nie zurückfahren“, hat er gesagt. Was nach einer Binse klingt, ist schlicht Berechnung: Luhukays Konzept ist auf 34 Spieltage ausgelegt.
Noch nicht an der Grenze
Deshalb lässt sich ein Unentschieden gegen Ingolstadt im heimischen Olympiastadion nun ganz gut verkraften. Zumal Hertha das spielerisch wesentlich reifere Team war: Zwei Chancen ließen JLus Mannen zu, über 60 Prozent Ballbesitz und 16 Torchancen geben den Spielverlauf gut wieder. Die meisten Herthaner waren nicht sonderlich betrübt ob der zwei liegen gelassenen Punkte: „Wenn wir an unsere Leistungsgrenze gehen, können wir jeden Gegner schlagen“, sagte der gesperrte Kapitän Peter Niemeyer. „Das haben wir am Freitag nicht ganz geschafft.“ So erzielte Hertha erstmals in dieser Saison kein eigenes Tor.
Aber hinten hielt man eben auch die Null. Der holländische Trainer wird oft für seine taktische Perfektion, für die Entwicklung flexibler Spielsysteme gelobt. Auch dafür, aus seinem Baukasten an Spielern elf gleichermaßen wichtige Bausteine auf dem Platz zu haben, die ineinandergreifen. Luhukay variiert zwischen 4-4-2-, 4-2-3-1- und 4-2-2-2-System, die Spieler beherrschen die Systeme, agieren bei Umstellungen nie planlos. Luhukays Philosophie kommt an.
Das Kurzpassspiel hat sich unter ihm verbessert, die zuvor oft gesehenen einfallslosen langen Bälle oder Steilpässe auf gut Glück werden kaum noch gespielt. Akteure, von denen man nicht genau wusste, wohin ihr Weg führt, haben sich unter ihm weiterentwickelt. Stürmer Sandro Wagner, der zuletzt in Kaiserslautern kaum noch profifußballtauglich wirkte, spielt in der Zweiten Liga nun einen sehr soliden Part. Ronny blüht ohne seinen nach Kiew abgewanderten Bruder Raffael auf. Selbst Adrián Ramos, der den Verein gern verlassen hätte, besinnt sich auf seine Aufgaben.
Sicher, ein Trainer bewährt sich erst in der ersten größeren Krise. Interessant ist aber, dass die tieferen Krisen den Luhukay-Teams der vergangenen Jahre erspart blieben. Er könnte auch in Berlin zur Konstante werden und Konstanten schaffen. Und einen Popstar kann man bei der Hertha in Liga zwei sowieso als Allerletztes brauchen.
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