Fußball und Politik: Forza Inghilterra!

Am Sonntagabend spielt England gegen Italien um die Europameisterschaft. Unser Autor, ein Italienier, hofft auf einen Sieg der Engländer.

Zwei englische Spieler knien vor dem Spiel auf dem Rasen nieder.

Richtige Geste. Zwei englische Spieler knien vor dem Spiel nieder Foto: Nick Potts/dpa

Politik hat auf dem Spielfeld nichts verloren, sagen manche Sport-Kommentatoren. Es geht ja um Leistung und Fairplay, nicht um parteipolitische Streitereien. Den Satz fand ich immer seltsam – wahrscheinlich, weil ich aus einem Land komme, das für zehn Jahre von einem Mann regiert wurde, der zufälligerweise auch der Besitzer des reichsten Fußballteams im Land war.

Nehmen wir den Kniefall gegen Rassismus, der Europa (erneut) gespalten hat: Der Chef des polnischen Fußballverbandes sagte, er lehne die Geste als „populistisch“ ab. Ungarische Fans zogen durch Budapest mit einem „Anti-Kniefall“-Plakat. Regierungschef Orbán begrüßte die Aktion, weil (oh die Ironie!) Fußball nichts mit Politik zu tun haben sollte.

Es ist ein geeignetes Finale für diese ultrapolitische EM, dass sich am Ende zwei Teams gegenüberstehen, die bei Fragen von Rassismus und Zugehörigkeit nicht unterschiedlicher sein könnten. Auf der einen Seite: England, das Team, das den Kniefall in die Welt des Fußballs eingeführt und sowohl in der Liga als auch bei den Spielen der Nationalelf daran festgehalten hat – trotz der Buhrufe der eigenen Fans und dem Spott von Regierungschef Johnson.

Auf der anderen Seite (Seufzer) mein Land: Italien. Zwar sind meine Landsleute prinzipiell nicht gegen den Kniefall. Trotzdem schafften sie es, mit ihrer „heute knien, morgen nicht“-Haltung die Geste zum Politikum zu machen – und dabei Kniefallbefürworter und Gegner gleichermaßen zu verärgern.

Kapitän Chiellini sagte, Italiener würden nur in Solidarität mit anderen Spielern knien. Also nicht wegen der antirassistischen Botschaft. Spieler zu einem bestimmten Verhalten zu zwingen sei dem italienischen Fußballverband zufolge „Machtmissbrauch“. Wer hier wen wozu zwingt, ist aber nicht ganz klar.

Zum Beispiel Balotelli

Dabei wäre eine klare Haltung der Nationalelf zum Thema Rassismus sehr wünschenswert. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass Italien das westeuropäische Land ist, in dem rassistische Einstellungen am meisten verbreitet sind. Auch in der Fußballwelt ist Rassismus allgegenwärtig. Spieler of colour wie Mario Balotelli und Romelu Lukaku haben sich laut über rassistische Übergriffe beklagt. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass mehr als ein Viertel aller Fangemeinden in Italien als rechts oder rechtsextrem gelten.

Rechtsextreme Fans gibt es auch in England. Doch das englische Team per se ist schon eine heftige Ohrfeige für Rassisten und Ein­wan­de­rungs­geg­ne­r:in­nen (auch in der britischen Regierung). Das hat das Migration Museum in London kürzlich meisterhaft auf den Punkt gebracht: Als Protest gegen die Pläne von Innenministerin Patel, Ein­wan­de­re­r:­in­nen und Asylsuchende an den Grenzen abzuweisen, hat das Museum ein Bild gezeigt, wie die Nationalelf ohne Ein­wan­de­re­r*­in­nen aussehen würde: Auf dem Feld blieben nur drei Spieler.

Auch im italienischen Team gibt es Spieler mit einer Einwanderungsgeschichte. Drei Spieler – Jorginho, Emerson und Toloi – sind in Brasilien geboren und aufgewachsen. Erst nachdem sie ihre Karriere als Profis in Italien angefangen haben, wurden sie im Eilverfahren eingebürgert – Toloi noch in diesem Jahr. Das ist auch eine heftige Ohrfeige – und zwar für die etwa 1,5 Millionen Kinder von legalen Einwanderer:innen, die in Italien geboren sind und noch keine Staatsbürgerschaft haben.

Das wird zu viel Streit mit meinen Freunden führen. Aber wenn ich zwischen einem Team wählen muss, das trotz massiver Kritik geschlossen hinter einer inklusiven Weltanschauung steht und einem Team, das für Opportunismus und Gleichgültigkeit steht, na dann: „Forza Inghilterra!“

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