Fußball-Wettskandal: 250 Betrüger, 270 Spiele
Nach dem Wettskandal im Fußball ist "in Kürze" mit Anklagen der Staatsanwaltschaft zu rechnen. Die Strafanträge sollen bis zu sechs Jahren Haft fordern.
BOCHUM dpa/taz | Der internationale Wett- und Manipulationsskandal im Fußball ist größer als bisher angenommen. Die Staatsanwaltschaft Bochum ermittelt inzwischen gegen mehr als 250 verdächtige Personen. Betroffen seien etwa 270 Spiele im In- und Ausland. Das teilte die Strafverfolgungsbehörde am Mittwoch mit. Sowohl die Auswertung der sichergestellten umfangreichen Unterlagen als auch die Aussagen von Tatverdächtigen und Zeugen belegen, dass "in einer Vielzahl von Fällen Spiele manipuliert und auf diese Weise Wettgewinne betrügerisch erzielt wurden".
Allein in Deutschland sind 53 Spiele betroffen. Stärker ist die Türkei (74) verwickelt. Auch in der Schweiz (35), Belgien (19), Kroatien (15), Ungarn (14) und Österreich (12) geht es in den zweistelligen Bereich. Bosnien (8) und Slowenien (7) liegen dahinter. In weiteren Ländern spricht die Staatsanwaltschaft Bochum von 33 verschobenen Begegnungen. Mit ersten Anklage- oder Teilanklageerhebungen sei trotz der äußerst komplexen Ermittlungen, die noch längere Zeit dauern werden, "in Kürze zu rechnen". Aus ermittlungstaktischen Gründen gab die Staatsanwaltschaft zu dem groß angelegten Wettbetrug keine weiteren Details bekannt.
Die SZ berichtete, dass die Staatsanwaltschaft Strafanträge von bis zu sechs Jahren Haft plane. Der Haupttäter im ersten großen deutschen Wettskandal war zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und elf Monaten verurteilt und später gegen Bewährungsauflagen freigelassen worden. Noch im November 2009 waren die Bochumer Ermittler von geringeren Zahlen ausgegangen. Doch in der Zwischenzeit hätten sich weitaus mehr Fakten ergeben. Die intensiven Ermittlungen im In- und Ausland hätten den Tatverdacht weiter erhärtet.
Die bislang ermittelten Wetteinsätze auf manipulationsverdächtige Spiele belaufen sich auf rund 12 Millionen Euro, die Bestechungsgelder für Schiedsrichter, Spieler und sonstige Betroffene auf etwa 1,5 Millionen Euro. Etwa 7,5 Millionen Euro wurden durch die Wettmanipulationen als Gewinn festgestellt. Die Ermittler gehen davon aus, dass sich die Zahlen noch erhöhen werden. Europaweit ist eine Vielzahl von Personen als Wettsetzer "marionettenhaft" dafür eingesetzt worden, die Tatzusammenhänge zu verschleiern und Rückschlüsse auf die Drahtzieher zu erschweren.
Allein bei einem asiatischen Wettanbieter in Großbritannien konnten der Tätergruppe etwa 6.000 Einzelwetten über insgesamt 32,5 Millionen Euro zugeordnet werden. In 118 Fällen entfielen auf einzeln platzierte Wetten bei einem Einsatz von 5,54 Millionen Euro Auszahlungen von 6,5 Millionen Euro. Diese Angaben beziehen sich nur auf das sogenannte MSN-Betting, also Wetten per Telefon. Aus den MSN-Betting-Wetten ohne Manipulationsverdacht - dies sind 51 Fälle - lässt sich laut Staatsanwaltschaft ein Verlust von 147.000 Euro errechnen. Demgegenüber liegt der Gewinn bei tatverdächtigen Spielen (67) bei rund 1,1 Millionen Euro.
Derzeit sitzen acht Tatverdächtige in Untersuchungshaft; das Oberlandesgericht Hamm hatte bei ihnen in der letzten Woche die Fortdauer der Haft angeordnet. Im Rahmen justizieller und polizeilicher Zusammenarbeit kam es zu einer Vielzahl weiterer Festnahmen im Ausland: drei in der Schweiz, etwa 70 in der Türkei, 22 in Kroatien.
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